Gletscher, Jagatee und Techno
Pisten plus Party, gigantisch groß:Wer hier Ruhe sucht, ist im Ski-Gebiet Sölden eher fehl am Platz
Randy, Urlauber aus dem US-Bundesstaat Montana, kann sich kaum beruhigen vor lauter Begeisterung: „Wo findet man denn sonst sowas, Ski- und Snowboardfahren fast rund ums Jahr auf zwei Gletschern, Partys auf den Almhütten und an den Schirmbars im Tal, lots of Schnaps and Jagatee, it’s wonderful“. Ja, all das gibt’s in den Rockies wirklich nicht.
Skifahrer aus Bayern, die schon länger nicht mehr in Sölden im Tiroler Ötztal waren oder gar zum ersten Mal in dem Straßendorf ankommen, werden erst einmal etwas verstört sein: Striptease-Lokale und wummernder Techno-Sound aus unzähligen Kneipen verschrecken sicherlich so manchen älteren Besucher. Doch der ist in Sölden ohnehin in der Minderzahl. Jungvolk, meist aufgeteilt in lärmende, nicht nur vom Skifahren und Snowboarden berauschte Boy- oder Girl-Groups, bestimmen hier das Bild. Das Image vom „Ballermann der Alpen“ teilt sich Sölden gerecht mit Ischgl.
Doch das ist nur die eine Seite des Wintersportortes, der in seinen oberen Stockwerken gleich mehrere Superlative zu bieten hat. So locken nicht nur drei Dreitausender, sondern auch zwei Gletscher mit unzähligen, bestens gepflegten Abfahrten mit einer Gesamtlänge von 150 Kilometern den anspruchsvollen Wintersportler. Und weil man in Sölden schon immer lieber klotzte als kleckerte – die 34 hochmodernen Lifte und Seilbahnen können pro Stunde bis zu 69 000 Personen befördern – wirbt man mit dem Spruch „Think big – think Sölden“. Wie „big“ das Söldener Skigebiet wirklich ist, kann man auf einer Rundtour mit der Bezeichnung „Big 3 Rallye“ erkunden. Dabei überwindet man – ohne Stopp bei Jagatee und Williamsbirne – in etwa vier Stunden rund 10000 Höhenmeter, legt auf der gesamten Tour über drei Dreitausender etwa 50 Kilometer zurück und steht davon etwa 35 Kilometer auf Ski oder Snowboard.
Start zu dieser Runde der Superlative ist die Talstation der Giggijochbahn, die bis in 2284 Meter Höhe führt. Mit einem Sessellift geht’s über eine extrem breite und viel befahrene Piste weiter hinauf zur Rotkoglhütte in 2662 Meter Höhe. Da hat man bereits den Rettenbachgletscher mit seinen breiten Abfahrten im Blick, den man mit der Gondelbahn „Gletscherexpress“ in fünf Minuten erreicht hat. Von dort wird man mit einer weiteren Gondelbahn bis auf 3370 Meter Höhe (Schwarze Schneid) katapultiert. Weil dann eine gewaltige Felswand den Rettenbachgletscher und den Tiefenbachgletscher trennt, bohrte man einfach ein 170 Meter langes Loch hinein, und die Skifahrer können bequem hindurch rutschen hinüber zum breiten und flachen Tiefenbachgletscher. Auch hier sorgen gleich mehrere Lifte für den schnellen Rücktransport der Wintersportler hinauf zum Tiefenbachkogl (3250 m).
Weil die Pisten auf dem Tiefenbachferner so flach und breit sind, lässt hier leider auch so mancher nicht ganz so standfeste Flachlandtiroler in wilden Schussfahrten die Sau raus. Man sollte also öfter mal nach hinten schauen beim abfahren. Neu in dieser Saison: Ein riesiges Selbstbedienungsrestaurant am Fuße des Gletschers.
Bei guter Schneelage – dafür sorgen jetzt auch im leider nicht mehr ganz so „ewigen Eis“ riesige Schneekanonen – kann man vom Seiterjöchl (3058 m) eine zwölf Kilometer lange Abfahrt mit 1690 Höhenmetern unter die Bretter nehmen, um zur Talstation der Gaislachkoglbahn und damit zum dritten Dreitausender mit seinen etwas steileren Pisten zu gelangen. Natürlich lässt sich diese Runde auch bei schlechter Schneelage im Tal bewältigen. Man überbrückt die schneelosen oder vereisten Abfahrten einfach per Lift oder Bergbahn.
Selbstverständlich hat man in Sölden mit seinem etwas ruhigeren Ortsteil Hochsölden daran gedacht, dass der Alkoholspiegel der Kundschaft auch auf dem Berg nicht allzu dramatisch absinkt und deshalb locken an den Abfahrten zahlreiche Hütten mit der Musik, zu der man dann unten im Tal gleich bis spät in die Nacht hinein weitertanzen und -singen kann.
Günter Reimann
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