"Gift in kleinen Dosen"
Wladimir Klitschko verteidigt am Samstag seinen Titel gegen Jean-Marc Mormeck. Warum der Ukrainer den kleineren Boxer nicht unterschätzt und wie er den Fall Chisora sieht, erklärt er hier
AZ: Herr Klitschko, in der Schule hieß es immer: Gegen Kleinere ist feige. Jetzt holen Sie sich mit Jean-Marc Mormeck einen Gegner vor die Eisenfäuste, der 20 Zentimeter kleiner, 15 Kilo leichter ist.
WLADIMIR KLITSCHKO: Nun, da es nicht viele größere Boxer als mich gibt, bin ich wohl sehr oft nicht mutig. Aber Spaß beiseite. Wie heißt es so schön: Gift kommt in kleinen Dosen. Im Tierreich sind die kleinsten Kreaturen oft die giftigsten. Ich muss zugeben, dass ich anfangs Mormeck unterschätzt habe. Aber je mehr Kämpfe ich von ihm gesehen habe, umso mehr Respekt bekam ich. Und ich sage Ihnen eins: Ich boxe lieber gegen größere Gegner. Gegen Kleinere muss man immer nach unten schlagen, und wenn man dann mal nicht trifft, sieht man schnell wie ein Clown aus, wenn man unkoordiniert durch den Ring taumelt. Dereck Chisora ist auch nicht der Größte und er hat Vitali einen großen Kampf geliefert.
Chisora hat Sie vor dem Kampf im Ring angespuckt.
Das war widerlich. Es war einer der schwersten Momente meiner Karriere. Es war schwer, nicht zuzuschlagen. Was er gemacht hat, war unwürdig, er hat Vitali geohrfeigt, sich mit Haye bei der Pressekonferenz geprügelt. Ich bin froh, dass er gesperrt wird. Boxen braucht so was nicht. Wir sollten Vorbilder sein – keine Abschreckung.
Sie sagen, Sie hätten Mormeck anfangs unterschätzt, dabei haben Sie doch geschworen, dass Ihnen dies nach Ihren schweren Niederlagen gegen Corrie Sanders und Lamon Brewster nie wieder passieren würde.
Die Geschichte ist voll von Fightern, die ihre Gegner unterschätzt haben und sich dann im Ringstaub fanden. Joe Louis hatte Max Schmeling unterschätzt und dafür bezahlt. Ich hatte Sanders unterschätzt, habe beim Einmarsch an den Urlaub danach gedacht. Ich habe für diesen Hochmut einen hohen Preis bezahlt. Ich habe immer noch den bitteren Geschmack von damals im Mund.
Wie zufrieden waren Sie mit Ihrem letzten Kampf gegen David Haye? Sie hatten ja einen Knockout versprochen, doch Haye rettete sich über die Runden.
Das war das einzige Salz in der Suppe, ansonsten war es ein perfekter Kampf. Er hat gegen mich die ersten elf Runden alle verloren. Alle. Wenn das mir passiert wäre, hätte ich in der letzten Runde alles auf eine Karte gesetzt und versucht, den Gegner auszuknocken. Aber Haye fehlte dafür der Mut. Er hat nicht mal versucht, zu gewinnen! Haye redete nur wie ein mutiger Mann, aber in seinem Herzen sieht es anders aus.
Sie mögen ihn schlicht nicht.
Ich mochte seinen Auftritt bei Vitalis Pressekonferenz nicht, und seine Aktion nach dem Fight gegen mich war peinlich, als er seinen angeblich verletzten kleinen Zeh präsentierte. Ich habe ihn gewarnt: David, halt den Mund, du zerstörst dein Ansehen. Er wollte nicht hören, er wollte eine billige Show abziehen. Das ist ihm gelungen. Aber seinen Ruf hat er damit ramponiert.
Trotzdem will Ihr Bruder Vitali weiter gegen Haye antreten und damit den Job beenden, den Sie begonnen haben, aber eben nicht mit dem K.o. abschließen konnten.
Aus meiner Sicht ist der Job beendet. Ich habe Haye eine Lehrstunde erteilt. Aber ich werde es mir gerne anschauen, wenn mein Bruder ihn auseinander nimmt.
Falls Haye Vitali besiegen sollte, würden Sie dann noch mal gegen Haye kämpfen?
Ich habe viel Fantasie, aber es gibt kein Szenario, in dem ich mir vorstellen könnte, dass Haye Vitali schlagen könnte.
Der Mormeck-Kampf ist Ihr erster, bei dem Ihr Vater, der kurz nach dem Haye-Fight gestorben ist, nicht mehr da ist. Beeinflusst Sie das?
Mein Vater ist nur physisch nicht mehr da, aber er war auch nie physisch bei den Kämpfen. Aber ich habe seine Präsenz damals gespürt, ich spüre sie auch jetzt. Er und ich haben sehr wenig über Boxen geredet. Bei seiner Beerdigung habe ich mit dem Priester gesprochen, der ihm seine letzte Beichte abgenommen hat. Der hat mir erzählt, wie glücklich und stolz er war, dass ich Haye besiegt habe, dass ich den letzten WM-Gürtel in Familienbesitz geholt habe. Ich habe es zwar nie aus seinem Mund gehört, sondern erst vom Priester, aber unser Vater war unser größter Fan.