Gibt Venus Williams auf?

Venus Williams gibt bei den US Open auf, weil sie am Sjögren-Syndrom leidet. Die 31-Jährige berichtet von „Erschöpfungszuständen und Schmerzen”. Venus spricht vom Comeback, doch Zweifel bleiben.
von  Abendzeitung

Venus Williams gibt bei den US Open auf, weil sie am Sjögren-Syndrom leidet. Die 31-Jährige berichtet von „Erschöpfungszuständen und Schmerzen”. Der Star redet vom Comeback, doch Zweifel bleiben.

NEW YORK Es war kurz vor fünf Uhr abends Ortszeit, als Venus Williams am Mittwoch in den Katakomben des Arthur Ashe-Stadions einen unscheinbaren Raum des US-Tennisverbands betrat. Als sich die Tür schloß, war auch der warnende Schriftzug klar zu erkennen: „Bitte anklopfen und vor dem Eintreten auf eine Antwort warten."


Doch in diesen schicksalhaften Minuten, kurz nach dem verletzungsbedingten Rückzug von den US Open, gab es keine Antworten und keine Besucher, die in das kleine Rückzugsrevier eingelassen wurden. Venus Williams blieb allein mit ihren engsten Vertrauten und ihrer Familie – so lange, bis draußen vor dem Eingang zum Spielerzentrum ein grauer Van des Transportservice mit verspiegelten Fenstern vorfuhr und die aus dem Gebäude hastende Starspielerin in die Häuserschluchten von Manhattan chauffierte.


Die symbolbeladene Szene könnte nicht weniger als der Anfang vom Ende einer grandiosen Karriere sein. Venus Williams, die einst zur Jahrtausendwende das Koordinatensystem ihres Sports neu justierte und zur ersten dominierenden Spielerin in der Ära nach Steffi Graf wurde. Denn als die ältere der beiden Williams-Schwestern den Schauplatz der Offenen Amerikanischen Meisterschaften verließ, verbreiteten sich gerade die ersten Schockwellen nach ihrem Grand-Slam-Zwangsabschied in ihrem Heimatland und rund um den Globus.

„Ich bin am Sjögren-Syndrom erkrankt, einer Autoimmun-Krankheit, die zu Erschöpfungszuständen und zu Schmerzen führt und die meinen Energielevel beeinträchtigt", stand in einem persönlichen Statement der 31-jährigen geschrieben, nach dem Verzicht auf die Zweitrunden-Partie gegen die deutsche Himmelsstürmerin Sabine Lisicki. Sie sei froh, „endlich eine Diagnose bekommen zu haben", so Williams, „jetzt hoffe ich, dass ich bald wieder auf die Tennisplätze zurückkehren kann".


Doch am unzweifelhaften Tiefpunkt eines einzigen Horror-Jahres war das nur eine schwache Hoffnung für die hünenhafte Athletin. Denn das Sjögren-Syndrom kann nicht nur zu einer eingeschränkten Tränen- und Speichelproduktion führen, sondern in weiteren Stadien der nicht heilbaren Krankheit auch zu diversen Gelenkentzündungen und sogar zu Schädigungen an Organen wie der Lunge und den Nieren. Schon nach dem verpatzten Wimbledon-Turnier, bei dem sie in der vierten Runde ausgeschieden war, hatte die ältere Williams-Schwester noch vage über eine Krankheit gesprochen, die „mir irgendwie die Kraft raubt.” Doch die endgültige Diagnose platzte erst hinein ins laufende Grand Slam-Turniers in New York.


Der Rückzug Mitte der ersten Grand Slam-Woche kam gleichwohl überraschend – zwei Tage nach einem Erstrunden-Sieg, bei dem Williams, so das „Wall Street Journal", gewirkt hatte „wie eine Spielerin, die mit 31 Jahren wiedergeboren war." Doch der souveräne Erfolgsauftritt gegen die Russin Wesna Dolonts hatte der siebenmaligen Grand Slam-Siegerin offenbar schon wieder so zugesetzt, dass ein weiteres Match schlichtweg nicht mehr möglich war.


Nach dem Einspielen folgte Mittwochnachmittag das Aus – sehr zur Verwunderung von Gegnerin Lisicki, die Williams noch in ihrem offiziellen Spieldreß gesehen hatte. „Mir hat erst ein Schiedsrichter gesagt, dass sie nicht spielen kann", so die Berlinerin, „ich bin aus allen Wolken gefallen. Das war schon ein Schock."


Nach dem Verletzungsdrama um Schwester Serena, die in den letzten Monaten mit einer mysteriösen Schnittwunde am rechten Fuß und mit einer gerade noch rechtzeitig entdeckten Lungenembolie für gebührendes Drama gesorgt hatte, rückte nun also – wenn auch unfreiwillig – vielleicht ein letztes Mal Venus Williams in den Mittelpunkt der Tennisdebatten.
„Sie hat fast alles erreicht, was es im Tennis zu erreichen gibt", sagte am Mittwoch die große Martina Navratilova, „das Wichtigste für sie ist jetzt, diese verdammte Krankheit in den Griff zu kriegen."

Es klang, ungewollt und zutreffend, wie ein Abschied von der Sportlerin Venus Williams.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.