Gezüchtetes Wunderkind gegen ehrgeizigen Pizza-Boten
SAO PAULO - Lewis Hamilton oder Felipe Massa - einer der beiden wird am Sonntag Formel-1-Weltmeister werden. Der Engländer lebt eine Reißbrettkarriere. Der Brasilianer musste sich hochdienen in der Königsklasse. Die beiden Duellanten im Porträt.
Nun also auch noch singen. „Ich liebe Musik“, ließ Lewis Hamilton dieser Tage wissen, „das würde ich eines Tages sehr gerne machen. Ich singe jetzt mehr als zuvor. Mir wurde gesagt, dass meine Stimme recht gut sei."
Klar, was denn sonst? Es scheint wenig zu geben, was Lewis Carl Davidson Hamilton, dieser 23 Jahre alte Junge aus dem britischen Stevenage, nicht perfekt beherrscht. Die Formel 1 hat er schon im Rekordtempo erobert, am Sonntag kann er sich zum jüngsten Weltmeister aller Zeiten krönen. Und zum ersten farbigen Weltmeister. Dass das in der Formel 1 als bemerkenswert gilt, sagt viel aus über den um die Welt tingelnden Vollgas-Zirkus.
Hamilton hat diese Rolle des Wunderkindes angenommen. Es ist die Rolle seines Lebens. Er ist noch nicht einmal acht Jahre alt, als seine Tage schon durchgeplant sind. Vor der Schule geht es morgens um sechs zum Fitness-Training und zum Sprachunterricht, nach der Schule Hausaufgaben, wieder Fitness und so oft wie möglich auf die Kartbahn. Immer mit dabei: Papa Anthony, ein aus Grenada stammender Bahnarbeiter, der zwischenzeitlich drei Jobs hat, um die Karriere seines Ältesten zu finanzieren. Lewis, benannt nach dem US-Sprinter Carl Lewis, soll Erfolg haben. „Mein Sohn hätte auch in jedem anderen Sport erfolgreich werden können, so begabt war er“, sagt der Vater.
Arroganz wird seinem Sohn heute nachgesagt. „Es muss ihm einer sagen, dass er ein Rennfahrer ist und nicht vom Mars kommt“, ätzt etwa Renault-Temachef Flavio Briatore. Tatsächlich wirkt Hamilton manchmal unwirklich: Er gilt als begnadeter Tänzer, hat im „Pussycat Doll“ Nicole Scherzinger eine der begehrtesten Frauen der Welt, bezeichnet sich als religiös, interessiert sich für Kunst und beendete ein Literatur-Studium. Wenn der Haaransatz nicht schon bedrohlich nach hinten rutschen würde – man könnte meinen, Hamilton wäre perfekt.
Kein Wunder, dass er wenig Freunde im Fahrerlager hat. Ein begnadeter Rennfahrer ist er dennoch – von Kindesbeinen an. Er gewinnt alle Junior-Kartklassen. Als er elf ist, lernt er bei einer Motorsport-Ehrung Ron Dennis kennen, den Chef von McLaren. „Eines Tages werde ich in Ihrem Team fahren“, sagt der Bursche zu ihm. Dennis schreibt seine Büro-Telefonnummer in Lewis’ Poesiealbum. Drei Jahre später jedoch meldet sich Dennis selbst bei den Hamiltons. McLaren nimmt Lewis unter Vertrag, investiert angeblich 7,5 Millionen Euro in dessen Karriere und bereitet ihn Stück für Stück auf die Formel 1 vor. „Lewis war ein Experiment“, gab Dennis vor wenigen Wochen zu, „wir wollten sehen, ob man einen Formel-1-Weltmeister züchten kann“. Das klingt brutaler als es gemeint ist. In Wahrheit ist Dennis sehr stolz auf Hamilton.
Die Welt, so scheint es, liegt Hamilton schon jetzt zu Füßen. Hin und wieder scheint ihn das zu erdrücken. Er hat sich einen schnelleren Gehstil zugelegt, seit er in der Formel 1 ist, eine mechanischere Art zu Lächeln und dabei gleichzeitig ins Leere zu blicken. „Eigentlich bin ich sehr schüchtern“, sagt der junge Held über sich selbst. Deswegen wird es wohl nichts werden mit der Musikerkarriere. Hamilton: „Dafür fehlt mir doch etwas.“
Filippo Cataldo, Peter Hesseler
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