„Genuss – erst im Ziel“
Skistar Maria Riesch, derzeit Spitzenreiterin im Gesamtweltcup, über Rituale vor dem Start eines Rennens – und ihre Angst, unpünktlich zu sein.
AZ: Welcher Start ist nervenaufreibender für Sie - jener vor einer Abfahrt oder jener vor einem Slalom?
MARIA RIESCH: Das ist ein deutlicher Unterschied. Bei Abfahrt und Super-G ist alles etwas verlangsamt. Man weiß, es ist gefährlicher - und schon deshalb ist alles gedämpfter. Da wird nicht so viel gequatscht wie beim Slalom oder Riesenslalom. Da herrscht viel mehr Trubel, vor allem vor dem zweiten Durchgang! Aber richtig nervenaufreibend ist weder das Eine noch das andere. Wenn ich vor dem Start meine Nerven aufreiben würde, hätte ich im Rennen keine Chance.
Ist die Vor-Start-Stimmung also eher ein Genuss für Sie?
Das kann nicht sagen. Von Genuss kann man am Start absolut nicht sprechen. Der Genuss kommt erst später, wenn man im Ziel ist, wenn man gesund unten ist und es gut gelaufen ist. Ein unwahrscheinlich gutes Gefühl!
Was machen Sie am Start eines zweiten Durchganges, wenn Sie mit vorne liegen und gerade die 30. fährt?
Dann schaue ich mir das im Fernsehen an. Fünf bis sechs Leute etwa, damit ich erkenne, wo es Probleme gibt.
Und Sie hören sich an, was die Trainer hinauffunken.
Ja, sicher - aber das mit den Trainern ist immer eine Gratwanderung. Für die Trainer, nicht für mich. Wie viel und was sagen sie mir – und was nicht? Denn sie wollen ja nicht, dass ich verbremse.
Sind Sie eigentlich stets pünktlich am Start?
Man sollte ja schon wegen des Fernsehens, also um die Startnummern 30, 29, 28 sehen zu können, rechtzeitig am Start oben sein, wo das TV-Gerät steht. Aber ich versuche, nie zu spät dran zu sein. Eine furchtbare Vorstellung für mich. Ich habe sogar schon oft davon geträumt, dass ich zu spät an den Start komme! Obwohl mir das beim Rennen noch nie passiert ist.
Wie reagieren Sie auf Stürze von Konkurrentinnen?
Sowas hat - vor allem bei einem schlimmeren Crash – Einwirkung auf einen selbst. Aber man versucht, dies - wie alle anderen negativen Gedanken - zu verdrängen. Es bedeutet ja nicht: Wenn es die schmeißt, schmeißt’s mich auch. Aber wenn’s mehrere schmeißt, achtet man bei der eigenen Fahrt mehr auf die Gesundheit.
Hören Sie vor dem Start, wie viele Rivalinnen auch, mit einem i-Pod Musik?
Das habe ich eine Zeit lang gemacht, aber jetzt nicht mehr. Das ist mir zu kompliziert - wegen der Klamotten und weil es manchmal zu kalt für das Gerät ist und es nicht mehr so funktioniert.
Pflegen Sie bestimmte Rituale vor dem Start?
Nein, nichts Besonderes. Aufwärmen, zum Physio gehen, denn der kriegt die Funksprüche von den Trainern - und dann Faust an Faust mit dem Trainer oben am Start. Auch mit dem Physio und dem Servicemann. Das ist unheimlich wichtig, das kann etwas bewegen in einem! Und es würde etwas fehlen, wenn es dieses Faust-an-Faust nicht gäbe.
Was ist das Schwierige zwischen zwei Durchgängen?
Es ist auf alle Fälle so, dass man die Leistung bestätigen will – und dadurch unter Druck gerät. Nicht von außen, sondern von einem selbst. Man denkt sich „Hoppla, da könnte ja was gehen heute!“ und das erzeugt dann Druck. Aber am Start selbst denkt man nicht mehr an irgendwelche Platzierungen, sondern fährt drauflos.
Denkt man dabei an die Tore?
Nein, man denkt: „Gas geben!" Die Tore hat man sich ja bereits vorher eingeprägt. Am Start dann geht es in erster Linie darum, Konzentration und Spannung reinzubringen – und dann voll drauflos!
Interview: Jupp Suttner
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