Ganz cool auf Kurs
Lewis Hamilton hat im Formel-1-Finale den härtesten Gegner wieder im Griff: seine Nervosität. Damit ist der Weg frei zum Titel - und zum ganz persönlichen Rekord.
SHANGHAI Und wieder muss es in Sao Paulo ausgefahren werden. Wie schon in der letzten Saison fährt Lewis Hamilton mit sieben Punkten Vorsprung zum letzten Saisonrennen in Brasilien. Aber wie anders ist es dieses Mal: Nach seinem souveränen und cool herausgefahrenen Sieg in Shanghai, die der dreimalige Weltmeister Niki Lauda schlicht als „weltmeisterliche Fahrt“ bezeichnet hat, scheint dieses Mal der totale Triumph, der Gewinn der Weltmeisterschaft also, nur noch eine Formalität zu sein.
Schließlich kann Hamilton dieses Mal richtig euphorisch und zuversichtlich nach Sao Paulo reisen. „Die Situation ist nicht vergleichbar mit der vom letzten Jahr“, sagte Hamilton auch selbst am Sonntag nach seinem Sieg.
Letztes Jahr war er schließlich mit 17 Punkten Vorsprung auf den späteren Weltmeister Kimi Räikkönen nach Shanghai geflogen, als es weiter nach Brasilien ging, waren nur noch sieben Punkte übrig geblieben. Außerdem kämpften vergangene Saison vor dem letzten Rennen gleich drei Fahrer um die WM - und sein damaliger Mercedes-Teamkollege Fernando Alonso tat damals alles, um Hamilton zu verunsichern.
Bis Shanghai versuchten Alonso und auch BMW-Pilot Robert Kubica das auch, und tatsächlich wirkte Hamilton noch am Donnerstag vergangener Woche ziemlich nervös. „Man hat zum Teil mit vereinten Kräften versucht, ihn aus der Konzentration zu bringen. Das wird in Brasilien auch so weitergehen. Die Nicht-Freunde im Feld haben ja schon angedroht, was sie alles machen werden“, sagte Mercedes-Sportchef Norbert Haug. Ein schöner Gruß, der Alonso und seinen Spezln galt.
Und doch: Aus der Ruhe brachte Hamilton das Bohei am Sonntag ganz und gar nicht. Und deswegen liege ihm jetzt schon, nach dieser „perfekten Vergnügungsfahrt“, wie daheim in England der „Guardian“ jubelte, „die Welt zu Füßen“, wie die „Sun“ titelte.
Tatsächlich scheint es, als ob Massa und Ferrari sich fast schon von ihren Titelträumen verabschiedet haben. „Es wird sehr, sehr schwer“, meinte der Brasilianer, „natürlich träume ich weiter, denn was wäre das Leben schon ohne Träume, aber ich habe es nicht mehr selbst in der Hand.“ Und sein Teamchef Stefano Domenicali sagte, ebenfalls ziemlich resigniert: „Natürlich ist es für uns jetzt wesentlich einfacher, den Konstrukteurstitel einzufahren, als die Fahrerweltmeisterschaft zu gewinnen.“
Nur Hamilton selbst kann sich jetzt noch stoppen. Ein fünfter Rang genügt ihm in Brasilien, um sicher Weltmeister zu sein, er muss nur konzentriert bleiben, dann kann ihm eigentlich nichts mehr passieren. Zumal Hamilton langsam sogar daran Geschmack gefunden zu haben scheint, nicht mehr jedes Rennen mit aller Macht gewinnen zu müssen. „Das Wichtigste ist jetzt, anzukommen“, sagte er. „Genau so musst du nach Brasilien reisen“, forderte so denn auch McLaren-Teamchef Ron Dennis von seinem Musterschüler, „behalte bloß diese Disziplin, Lewis.“
23 Jahre, 10 Monate und 26 Tage wird Hamilton übernächsten Sonntag alt sein. Wenn alles gut geht und ihn sein Auto nicht im Stich lässt, wird er sich zum jüngsten Weltmeister aller Zeiten krönen können – und seiner Mannschaft den ersten Triumph nach neun Jahren bescheren. Und das in Brasilien, in der Heimat seines Rivalen Massa, den 100000 Menschen anfeuern werden.
Das Rezept dafür scheint denkbar einfach: „Cool bleiben“, beschrieb es Hamilton. So cool, wie er schon am Sonntag in Shanghai war. So, „wie wir jetzt Weltmeister werden wollen“, wie Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug meinte.
Filippo Cataldo