"Gänsehaut in Elefantengröße"

Viermal siegte Franz Klammer in Kitz. In der AZ gesteht er seine Angst vor der Streif – und verrät, warum sein Bruder sein Vorbild ist
von  Abendzeitung
Frant Klammer, der König von Kitz, siegte vier Mal auf der Streif.
Frant Klammer, der König von Kitz, siegte vier Mal auf der Streif. © Rauchensteiner/AK

Viermal siegte Franz Klammer in Kitz. In der AZ gesteht er seine Angst vor der Streif – und verrät, warum sein Bruder sein Vorbild ist.

AZ: Herr Klammer, können Sie, der König der Streif, uns Normalsterblichen, die das Hahnenkamm-Rennen nie bestritten haben, die spezielle Faszination der schwersten Abfahrt der Welt in einem Satz erklären?

FRANZ KLAMMER: Das ist eine sehr gute Frage, aber leider eine, auf die ich nur eine ungenügende Antwort habe. Die Streif, die musst du erleben. Selbst wenn man andere Abfahrten gefahren ist, das ist nichts im Vergleich zur Streif. Eine Achterbahnfahrt, das reicht auch nicht als Erklärung, vielleicht eine Achterbahnfahrt zur xten Potenz erhoben. Die Streif, das ist mehr als nur Adrenalin pur, das ist Gänsehaut in Elefantengröße. Ich bin leider unfähig, das genauer zu erklären, da reicht die Kraft meine Worte nicht aus.

Dann lassen Sie uns doch auf eine kurze Zeitreise gehen – zurück zu Ihrem allerersten Start auf der Streif.

Oh mei, ja. Daran erinnere ich mich noch genau. Ich war ja schon einige schwierige Abfahrten gefahren, Gröden etwa. Aber als ich dann das allererste Mal im Starthäuschen an der Streif stand, da hatte ich nur die Hosen voll. Richtig gestrichen voll. Ich hatte Angst und habe mir noch gedacht: Seid’s ihr narrisch? Da fahr ich nicht runter! Am liebsten wäre ich an Ort und Stelle umgedreht. Und damals sind ja die Besten als Erste gestartet, wir kamen dann später. Und die alten Haudegen, die sind da noch extra brutal rausgegangen aus dem Start, die gemeinen Hund haben für uns Frischlinge noch ein besondere Show abgezogen. Und ich stand hinten und zitterte. Wenn nicht direkt hinter mit schon die Nächsten gestanden wären, wäre ich wahrscheinlich umgedreht. Ich habe dann genau geschaut, wer heil unten ankam. Und als ich dann sah, dass da auch einige dabei waren, die ich bei anderen Rennen schon geschlagen hatte, da kam dann langsam der Mut, das Selbstbewusstsein a bisserl zurück. Da habe ich mir gedacht: Wenn die das schaffen, dann kann ich das vielleicht auch, dann komme ich zumindest lebend unten an. Komischerweise habe ich mich dann aber von der ersten Sekunde an auf der Piste richtig wohlgefühlt.

Und dann kamen vier Siege. Welcher war für Sie emotional der schönste, der wichtigste?

Das war dann doch der erste Erfolg im Jahre 1975. Weil ich da einfach gewinnen musste. Ich hatte vier Rennen in Serie gewonnen, noch ein Sieg und ich hätte den legendären Rekord von fünf Siegen in Serie eingestellt. Dass mir das bei all dem Druck gelungen ist, das war schon ein Fest für mich. Und natürlich 1984, als ich dann noch einmal gewinnen konnte.

Erzählen Sie davon, bitte.

Ich war ja relativ spät dran, aber ich bin im Starthaus gestanden und ich habe gewusst, dass ich gewinnen werde. Das war nicht nur eine Ahnung, das war ein Wissen. So etwas hat man ganz selten. Und es war ein Genuss mit diesem Wissen das Rennen zu fahren.

Sie gelten als der König der Streif, dabei hat Didier Cuche Ihnen mit jetzt vier Siegen den Rekord entrissen.

Ja, aber ich sage gerne, der Didier hat nur dreieinhalb Mal gewonnen, weil er ja auch wegen des Wetters verkürzte Rennen gefahren ist. Aber Spaß beiseite, der Didier ist ein Ausnahmefahrer, einer der besten, die es je gab und ich gönne ihm den Triumph und den Erfolg. Vielleicht war ich der König meiner Zeit, er ist es jetzt.

In den letzen Jahren gab es sehr schwere Stürze. So schwer, dass die Verunglückten sogar um ihr Leben kämpfen mussten. Wo sehen Sie die Gründe hierfür?

Schwere Stürze gab es immer, auch zu unserer Zeit. Aber ich glaube, dass aufgrund der neuen Entwicklungen, den Rückenprotektoren, den großen Sturzräumen, den Fangzäunen auch ein Gefühl der absoluten Sicherheit herrscht, das es aber in Wirklichkeit nicht gibt. Wir haben vielleicht zu unserer Zeit doch noch ein Prozent Sicherheitsspielraum gelassen, das machen die heute nicht mehr. Und wer immer am Limit fährt, der fährt auch mal drüber, denn das Limit kann man ja nur kennen, wenn man es auch mal überschreitet. Ich muss auch zugeben, dass es mir heute schon innerlich weh tut, wenn ich beim Fahrer auch nur die Gefahr eines Sturzes sehe, früher hat man gesagt, ui, schau hin, da schmeißt’s einen.

Einen, den es 1977 fürchterlich geschmissen hat, war ihr Bruder Klaus, der sich dabei so schwer verletzte, dass er seitdem querschnittsgelähmt ist.

Das war ein riesiger Schock für mich, ihn so zu sehen. Wir, die wir immer zusammen Skifahren waren, und plötzlich konnte er sich kaum bewegen. Ich habe viel darüber nachgedacht, auch, ob meine Karriere noch Sinn macht. Aber ich bin dann damals in mich gegangen und habe das sehr nüchtern, sehr rational analysiert. In der Reha, in der er war, da waren 100 Leute, die das gleiche Schicksal hatten und nur einer davon war ein Profisportler. Es gibt eben Schicksale, die kann man nicht ändern. Und ich muss sagen, mein Bruder hat mir in meinem Leben sehr viel Kraft gegeben. Nicht ich bin ein Vorbild, sondern er. Wie er das Leben meistert mit all seinen Unwägbarkeiten, dagegen habe ich gar nichts geleistet. Vier Siege auf der Streif sind nichts im Vergleich zu seinen Siegen im täglichen Leben.

Wie sehr können Sie sich denn mit dem ganzen Drumherum in Kitzbühel noch identifizieren? Das ist ja zu einer Art Massenbesäufnis geworden.

Da muss man sich nichts vormachen. Das ist wie am Ballermann! Ich finde es schon schade, wenn der Sport für einige nicht mehr im Vordergrund steht, sondern die Leute teilweise nur noch wegen der Party da sind. Es gibt ja doch einige, die das Rennen gar nicht miterleben, weil sie irgendwo versumpft sind. Das finde ich traurig, aber das kann ich leider nicht ändern.

Zu Ihrer Zeit feierten mehr die Fahrer selber...

Das war schon a Hetz. Nach dem Rennen haben wir es schon krachen lassen, das wurde später, da kam keiner trocken nach Hause. Und jeder hat mit jedem gefeiert, wir sind zusammen mit den Schweizern, den Deutschen, den Kanadiern, den Amerikanern rumgezogen. Damals herrscht ein Miteinander, eine Kameradschaft, die es so auch nicht mehr gibt. Wir waren auf der Piste Konkurrenten, aber danach waren wir alles Kerle, die dem gleichen Hobby nachgingen, die das gleiche Leben führten, wir waren Kameraden, die sich untereinander geholfen haben. Da war ein Miteinander, kein Hauen und Stechen. Ich finde es schade, dass diese Kameradschaft so nicht mehr existiert.

Dann werden Sie sich sicher wieder auf das Treffen der Ehemaligen Freude.

Und wie! Aber ich muss mich bis dahin ein bisschen schonen. Der Bernhard Russi ist wieder dabei, und wenn der dabei ist, dann wird es immer hart, feucht und früh. Sehr früh.

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