„Zwischen Kappe übern Kopf und Bahnsteigkante“
MÜNCHEN - Der beschuldigte Ex-Schirifunktionär Manfred Amerell fühlt sich vom DFB im Stich gelassen und äußert Selbstmordgedanken.
Die Meldungen kamen binnen weniger Minuten. Am Mittwochnachmittag äußerte sich Manfred Amerell im DSF zum ersten Mal selbst zu den Vorwürfen, den Schiedsrichter Michael Kempter – und möglicherweise, wie vom DFB am Dienstag erst kolportiert, auch andere junge Schiedsrichter, sexuell belästigt zu haben. Der 62-Jährige bestritt die Vorwürfe, wie er es auch schon am Freitag in einer schriftlich verfassten Erklärung getan hatte. Weder hätte er Kempter belästigt noch hätte er seine Macht als Schiedsrichterbeobachter missbraucht. „Jeder Bundesliga-Schiedsrichter, der sich da oben reinpfeift, muss sich nicht reinschlafen'“, sagte er, „ich konnte in meiner Position Schiedsrichter, die in der 3. oder der 2. Liga pfeifen und in die Bundesliga wollten, nicht dorthin befördern.“
Amerell fühlt sich falsch verdächtigt, vorverurteilt, er fühlt sich im Stich gelassen. Vor allem von jenen Menschen und früheren Kollegen beim DFB, mit denen er jahrzehntelang zusammengearbeitet hat. Es geht ihm schlecht. So schlecht, dass er gar über Selbstmord spricht. „Man fragt sich jeden Tag, wie das Leben weitergehen soll“, sagt er, „wenn man sich dann schon mal Gedanken macht, ob man hier überhaupt noch entsprechend behandelt wird und Gedanken, dass man sich jetzt an die Bahnsteigkante stellt.“
An ein normales Leben sei für ihn nicht mehr zu denken, „wenn die Frage zwischen ‚Kappe über den Kopf' und Bahnsteigkante zum Lebensinhalt wird, das gönne ich keinem Menschen, so etwas mitzumachen“, meinte Amerell.
Die Schuld an diesem Zustand sieht er beim DFB, der ihm keine Möglichkeit gegeben hätte, sich zu verteidigen. „Ich kenne den Vorwurf nur aus den Medien, keine konkreten Dinge, kein Detail, kein Schriftstück oder Ähnliches, was mir vorgelegt wurde. Das ist enttäuschend – und für mich das Schlimmste“, sagte er.
Tatsächlich verweigerte der DFB Amerell und seinem Anwalt Jürgen Langer die Einsicht in die internen Ermittlungsakten. Langer kündigte bereits an, deswegen ein Zivilgericht anzurufen. „Es wird eine Verurteilung vorgenommen, ohne den Angeklagten jemals angehört zu haben. Das ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren", sagte Langer.
Am Dienstag hatte der DFB verkündet, dass es eine klare Beweislast gegen Amerell gebe und die Beweise gegen ihn erdrückend seien: „Aus Sicht des DFB steht fest, dass Herr Amerell seine Pflichten als Mitglied des Schiedsrichterausschusses klar verletzt hat.“
Gestern ruderte DFB-Präsident Theo Zwanziger in dieser Frage etwas zurück. „Es muss aber eine enge Beziehung zwischen Manfred Amerell und Michael Kempter gegeben haben. Ob diese Beziehung freiwillig oder gezwungen war, spielt für uns keine Rolle“, meinte Zwanziger am Rande des Frauen-Länderspiels in Duisburg. „Eine Rolle spielt nur, dass sie von Seiten Amerells pflichtwidrig war. Derjenige, der die Machtfunktion hat, darf das nicht zulassen“, ergänzte er.
Überhaupt sei der Fall Amerell für den DFB „abgeschlossen“. Amerell sei zurückgetreten, „mit seinem Rücktritt hat er das getan, was wir sonst hätten tun müssen“, so Zwanziger.
Eine Strafanzeige erwäge der DFB gegen seinen einstigen Funktionär nicht. In Amerells Leben ist aber auch so nichts mehr wie es war. fil
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