Interview

Zwanziger kritisiert in der AZ den Umgang mit Beckenbauer: "Das ist nicht in Ordnung"

Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger spricht exklusiv in der AZ über die Sommermärchen-Affäre und die anderen Krisen des Verbandes, Beckenbauers Lebenswerk sowie die nun anstehende Heim-EM.
von  Kilian Kreitmair
Theo Zwanziger (re.) kann den Umgang mit Beckenbauer nicht nachvollziehen.
Theo Zwanziger (re.) kann den Umgang mit Beckenbauer nicht nachvollziehen. © IMAGO / Ulmer

AZ: Herr Zwanziger, in wenigen Wochen beginnt die Europameisterschaft in Deutschland. Wie groß ist Ihre Vorfreude auf das Turnier?
THEO ZWANZIGER: Ich bin seit mindestens sieben Jahrzehnten Fußballfan. Deshalb freue ich mich besonders auf diese Großereignisse. Wenn sie im eigenen Land stattfinden, dann ist das etwas ganz Besonderes.

Sie wissen, was es bedeutet, ein Heim-Turnier auszutragen. 2006 waren sie Vize-Präsident des Organisationskomitees der Weltmeisterschaft. War die Anspannung damals kurz vor dem Eröffnungsspiel groß?
Die Anspannung war nicht nur bei mir, sondern bei allen, die mehr als sechs Jahre in die Organisation eingebunden waren, groß. Wir wussten, dass wir uns angestrengt hatten, dass wir sehr viel Kompetenz in unseren Reihen hatten. Aber wir wussten auch, dass der Ablauf eines solchen Turniers von vielen Zufällen abhängt. Die Sicherheitslage hat uns immer Sorgen gemacht. Auch hat sich die Frage gestellt, wie gehen die Fans, die aus allen Ländern zu uns kommen, miteinander um. Und letztlich hat es uns auch beschäftigt, wie wird das Wetter und wie spielt die deutsche Nationalmannschaft. All das wussten wir nicht.

Die Weltmeisterschaft entwickelte sich zum Sommermärchen. Was war das Erfolgsrezept?
Die gute Vorbereitung. Darüber hinaus hatten wir auch ein bisschen Glück. Und wir hatten aus meiner Sicht zwei ganz herausragende Repräsentanten. Zum einen war das Horst Schmidt, der sich mit seiner ganzen Erfahrung um die Organisation gekümmert hat. Zum anderen war es die überragende Persönlichkeit Franz Beckenbauer. Franz Beckenbauer hat für diese Weltmeisterschaft unglaublich viel geleistet.

Zwanziger: EM kann kein Sommermärchen 2.0. werden

Hat die Europameisterschaft das Potenzial, zum Sommermärchen 2.0 zu werden?
Nicht ganz. Das Sommermärchen war eine Weltmeisterschaft. Es ist natürlich etwas anderes, wenn Sie auch Nationalverbände aus Asien, Südamerika und aus Afrika begrüßen können. Das gibt dem Ganzen eine wesentlich größere internationale Note. Es waren Kulturen aus verschiedensten Ländern. Das ist bei einer Europameisterschaft in diesem Sinne nicht der Fall. Aber trotzdem kommen großartige Mannschaften aus Europa zu uns. Deshalb wird es auch ein tolles Turnier werden.

War es dieses Zusammenkommen der verschiedensten Kulturen, dass Sie besonders stolz gemacht hat?
Stolz gemacht ist vielleicht der falsche Begriff. Es war ein außergewöhnliches Erlebnis. Wo kann man so etwas nochmal erleben? So konzentriert in fünf Wochen alles hautnah in den Stadien und in den Fanmeilen mitnehmen zu können, das ist einzigartig.

Zwanziger: Prozess lässt mich nicht "völlig unberührt"

In Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft 2006 stehen Sie zusammen mit Wolfgang Niersbach und Horst Schmidt im sogenannten "Sommermärchen"-Prozess vor Gericht. Wie sehr zehrt der Prozess an Ihnen persönlich?
Ich möchte nicht behaupten, dass mich der Prozess völlig unberührt lässt. Das wäre übertrieben. Aber es nicht so, dass er mich zu stark belastet. Es ist nun mal in einem Rechtsstaat so, dass bei einem Anfangsverdacht ermittelt wird. Damit kann ich leben. Allerdings sind die Laufzeit und Turbulenzen, die sich dort abspielen, sehr ungewöhnlich.

Das Verfahren war eigentlich schon zu den Akten gelegt. Verstehen Sie, warum das OLG Frankfurt den Beschluss im Mai 2023 aufhob?
Nein. Im Grunde steht das Schengen-Abkommen dem Ganzen im Weg, weil schon ein Verfahren in der Schweiz lief. Aber laut dem Beschluss des Oberlandesgerichts stehen ausschließlich die Buchungen im Jahr 2006 für eine Zahlung aus dem Jahr 2005 auf dem Prüfstand. Wenn man sich daranhalten würde, müsste man eigentlich nach der Beweisaufnahme zur Erkenntnis kommen, dass nichts war. Die Verantwortlichen für die Steuer, insbesondere die Steuerberater des DFB haben ausgesagt, dass die Buchung im Jahr 2006 ergebnisneutral ist. Auch haben die drei Angeklagten von dieser Buchung nichts gewusst. Deshalb frage ich mich schon, was das soll.

Sie sind selbst Jurist. Wie bewerten Sie das Vorgehen von Richterin Eva-Marie Distler im Prozess? Sie drohte Ihnen jüngst mit einem Pflicht-Verteidiger. Auch erklärte sie Ihr Attest, als Sie am sechsten Verhandlungstag aufgrund einer Erkrankung nicht teilnehmen konnten, als unzureichend.
Ihr Vorgehen ist sehr ungewöhnlich. Ich habe in meinem Studium und meinem beruflichen Leben einen anderen Rechtsstaat in Erinnerung. Aber nun ist es so. Die Gerichte sind unabhängig und sie versuchen, diese Macht auch darzustellen. Das ist bis zu einem gewissen Grad möglich. Aber dass meine Gesundheitsdaten auf dem öffentlichen Markt ausgetragen werden, hat mich schon berührt. Was würden andere Menschen dazu sagen, wenn Sie in ein Gerichtsgebäude gehen, und müssten Ähnliches erleben? Der Ausschluss von der Öffentlichkeit wäre notwendig gewesen. Wenn man so leichtfertig in Gerichtsverhandlungen mit diesen Daten umgeht, dann habe ich meine Zweifel, über das, was dort passiert.

Zwanziger über Sommermärchen-Prozess: "Ich halte ein solches Vorgehen nicht für fair"

Sie fühlen sich unfair behandelt?
Ich halte ein solches Vorgehen nicht für fair, so sieht es auch Artikel 6 der EMR. Es gab keine Notwendigkeit, die Daten preiszugeben. Es gibt Situationen im Strafprozess, in denen man so etwas machen muss, aber diese Situation gab das nicht her.

Glauben Sie, dass Frau Distler etwas gegen Sie persönlich hat?
Glauben ist nicht wissen. Aber eines ist klar: Über ihr ist nicht der blaue Himmel. Sie kann nicht machen, was sie will. Es kommt der Tag, an dem auch sie sich verantworten muss.

Uli Hoeneß wurde als Vertrauter von Franz Beckenbauer, der Präsident des Organisationskomitees der WM 2006 war, zu einer Zeugenaussage geladen. Aus Sicht der Richterin hatte das wenig Erfolg. War das zu erwarten?
Natürlich. Es war völlig überflüssig. Wenn eine Beweisaufnahme dadurch zustande kommt, dass eine Zeitung wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, Uli Hoeneß wisse etwas, dann wirft das auch ein bezeichnendes Bild auf Frau Distler.

Wie denken Sie, wird sich der Prozess weiterentwickeln?
Es sollen noch Zeugen vernommen werden. Was diese Zeugen aussagen können, weiß ich nicht. Jedenfalls nichts, was die Buchungen aus dem Jahr 2006 in ein anderes Licht rücken. Alle Zeugen, die dort kommen sollen, befassen sich mit Ereignissen aus dem Jahr 2002. Wer will dort noch eine Aufklärung herbeiführen, vor dem Hintergrund, dass einige der Beteiligten nicht mehr leben? Letztendlich will man sich beim Landgericht jetzt mit der Frage befassen, ob die Überweisung für die WM-Gala bestimmt war oder nicht. Auch das hat für die Bewertung der Buchung im Jahr 2006 keine Bedeutung. Aber wir können den Prozess gerne weiterführen. Am Ende wird sich der Steuerzahler die Frage stellen müssen, ob das alles gerechtfertigt war.

Erwarten Sie, dass Sie, Herr Niersbach und Herr Schmidt freigesprochen werden?
Erwartungen habe ich überhaupt keine mehr. Ich gehe davon aus, dass das Verfahren irgendwann zu Ende geht. Bei Herr Niersbach und Herr Schmidt stellt sich inzwischen die Frage, ob sie nicht eine Einstellung mit einer Geldbuße akzeptieren. Das kann möglich sein.

Zwanziger über Beckenbauer: "Das sind großartige Erinnerungen an eine sehr intensive Zeit"

Werfen wir einen Blick auf den eben angesprochenen Franz Beckenbauer, der Anfang des Jahres verstorben ist. Welche persönlichen Erinnerungen haben Sie an den Kaiser?
Das sind großartige Erinnerungen an eine sehr intensive Zeit. Aus meiner Sicht ist er nicht nur einer der größten Sportpersönlichkeiten, sondern auch einer der größten Persönlichkeiten der deutschen Gesellschaft der Nachkriegszeit. Er war ein Mann, der nicht nur große Leistungen als Sportler und Trainer vollbrachte, sondern immer mit beiden Füßen auf dem Boden stand. Für ihn war die Weltmeisterschaft das Ereignis seines Lebens. Aber die Art und Weise, wie die Leistung von Franz Beckenbauer immer wieder in Zweifel gezogen wurde, hat mich sehr bedrückt. Das ist nicht in Ordnung. Man muss einfach akzeptieren, dass das, was er geleistet hat, über allem steht. Ich bin absolut sicher, dass er sich mit seinem Vorgehen im Jahr 2002 nicht strafbar gemacht hat. Vor allem vor dem Hintergrund einer korrupten Fifa, das muss man ganz klar sagen.

Wäre die Weltmeisterschaft 2006 ohne Franz Beckenbauer überhaupt möglich gewesen?
Möglich gewesen wäre sie, aber nicht mit diesem Glanz, der Anerkennung und dem Respekt aus dem Ausland. Er war der Türöffner. Er konnte mit der Politik, der Wirtschaft und mit den Kulturschaffenden, einfach mit allen aus der Gesellschaft. Auch konnte er international mit verschiedensten Persönlichkeiten wie Nelson Mandela. Alle gehörten zu seinen Freunden. Das war außergewöhnlich.

Ehemalige DFB-Präsidenten unter sich: Zusammen mit Wolfgang Niersbach (l.) ist Theo Zwanziger im Sommermärchen-Prozess angeklagt.
Ehemalige DFB-Präsidenten unter sich: Zusammen mit Wolfgang Niersbach (l.) ist Theo Zwanziger im Sommermärchen-Prozess angeklagt. © imago images/Sven Simon

Über Lahm: "Vergleich mit Franz Beckenbauer kann man nicht herstellen"

Die Nachfolge von Franz Beckenbauer, wenn man so will, hat Philipp Lahm als EM-Turnier-Direktor angetreten. Ist er ein würdiger Nachfolger?
Man kann den Repräsentanten der Weltmeisterschaft 2006 nicht mit dem Turnierdirektor der Europameisterschaft 2024 vergleichen. Die Europameisterschaft wird im Wesentlichen von der Uefa organisiert. 2006 konnte der DFB hingegen selbst handeln. Philipp Lahm ist ein sehr anerkennenswerter und guter Repräsentant des deutschen Fußballs, aber den Vergleich mit Franz Beckenbauer kann man nicht herstellen. Das ist für beide nicht richtig.

Aktuell ist die Welt von zahlreichen Krisen und Kriegen geplagt. Glauben Sie, dass die EM getreu dem Motto der Weltmeisterschaft 2006 "Die Welt zu Gast bei Freunden" wieder zu mehr Zusammenhalt führen kann, auch innerhalb der deutschen Bevölkerung?
Nein. Wir dürfen den Sport und den Fußball nicht überhöhen. Wir haben im Jahr 2006 einen kurzen Moment geglaubt, dass es uns gelingen könnte, über den Sport zu einer besseren politischen Entwicklung in der Welt beizutragen. Das ist aber nicht gelungen. So wird es auch bei der Europameisterschaft sein. Frieden kann sich aus einem Sportereignis allein nicht herleiten lassen. Man würde den Sport auch belasten, wenn man ihm das zumuten würde. Der Sport kann für einen Augenblick Glück bringen, von den Sorgen des Alltags und den Konflikten in der Welt befreien. Aber wenn der Europameister ermittelt ist, werden die Dinge wieder ihren Lauf nehmen, wie sie traurigerweise ihren Lauf nehmen.

Kommen wir zurück zu Ihnen. Sie waren zwischen 2006 und 2012 Präsident des DFB. Wenn Sie heute auf Ihre Amtszeit zurückblicken. Worauf sind Sie besonders stolz?
Mir ist es gelungen, den DFB gesellschaftlich zu öffnen, ohne den Spitzenfußball zu vernachlässigen. Wir werden die Welt nicht verändern können, aber wir müssen den Beitrag, den wir für ein besseres Zusammenwirken leisten können, nachhaltig leisten. Das haben wir über verschiedene Stiftungen eingeleitet. Damit kann der DFB mit seinen Möglichkeiten einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Unter den neuen Präsidenten Bernd Neuendorf wird das weiterhin gemacht. Es ist eine Chance für den DFB in kritischen Situationen, wie wir sie im Moment in Zusammenhang mit einem aufkommenden Antisemitismus haben, Flagge zu zeigen. Das hat in den Jahren zwischen 1933 und 1945 gefehlt. Auch von den Fußballverbänden. Ich glaube, dass ich in meiner Amtszeit einen kleinen Beitrag dazu geleistet habe. Der Fußball und die Fußballer sind gerne unpolitisch, aber in einer demokratischen Gesellschaft kann man nicht immer unpolitisch sein. Da muss man dort, wo Unrecht geschieht, aufstehen, darauf hinweisen und es nach Möglichkeit ändern.

Zwanziger: "Der DFB hatte es in den letzten Jahren nicht leicht"

Wie beurteilen Sie die Entwicklungen des Verbandes nach Ihrem Abschied?
Der DFB hatte es in den letzten Jahren nicht leicht. Mit dem Sommermärchen-Skandal sind Dinge passiert, die den Verband gelähmt haben. Wenn man vor dem DFB mit Polizisten mit Maschinengewehren aufmarschiert, um Untersuchungen zu machen, ist das eine Darstellung der Staatsgewalt, die gegenüber dem Verband absolut inakzeptabel ist. Diese Verfahren haben den DFB beschädigt und dazu geführt, dass die verschiedenen Aufklärungsversuche, die unter Reinhard Grindel und Fritz Keller unternommen wurden, zu einer inneren Zerrissenheit geführt haben. Dazu kommen die wirtschaftlichen Herausforderungen durch den DFB-Campus in Frankfurt, die natürlich auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten des DFB tangieren. Ich hoffe und wünsche mir, dass es unter Bernd Neuendorf gelingt, auch mit der Beendigung dieser Verfahren, beim DFB wieder die Ruhe zu schaffen, dass der DFB nicht nur seinen sportlichen, sondern seinen sozialen und gesellschaftlichen Entwicklungen nachkommen kann. Ich muss nochmals betonen, keiner steht über dem Gesetz, aber auch die Staatsanwälte nicht. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gilt überall. Wenn man Unterlagen vom DFB haben möchte, kann man dort hingehen und bekommt diese. Man muss sich nicht aufführen, als wären hier Schwerverbrecher am Werk.

Woran denken Sie, liegt es, dass die Justiz bei Durchsuchungen beim DFB so martialisch auftritt?
Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu gewinnen, ist offenbar in der Justiz ein wichtiges Prinzip. Man kann manche Dinge sehr einfach erledigen, aber wenn man sie mit der nötigen Aufmerksamkeit erledigen kann, bekommt man die Situation, dass Staatsanwälte in vielen Fällen verherrlicht werden. Aber sie tragen in ihrem Anfangsverdacht schon dazu bei, dass bedeutende Persönlichkeiten ihre Ämter räumen müssen. Deshalb würde ich mir ein bisschen mehr Zurückhaltung beim Vorgehen in diesem Bereich wünschen. Aber die Justiz ist unabhängig. Und Unabhängigkeit treibt manchmal auch seltsame Blüten.

Immer nah dran an den Mächtigen der Bundesrepublik: Als DFB-Präsident verkehrte Zwanziger mit Kanzlerin Angela Merkel auf Augenhöhe.
Immer nah dran an den Mächtigen der Bundesrepublik: Als DFB-Präsident verkehrte Zwanziger mit Kanzlerin Angela Merkel auf Augenhöhe. © imago sportfotodienst

Finanziell schreibt der DFB rote Zahlen. Wie wichtig ist deshalb eine erfolgreiche EM-Teilnahme? Der Großteil der Einnahmen des DFB kommt über die A-Nationalmannschaft.
Der DFB hat hohe Investitionen und laufende Kosten zu bewältigen. Es wurde sehr viel Personal eingestellt, der DFB-Campus kostet sehr viel Geld. Der DFB hat aber gute Marketingverträge gemacht, beispielsweise der Nike-Deal, der eine spürbare Verbesserung bringen wird. Aber die Europameisterschaft wird nicht wahnsinnig viel Geld bringen. Wichtig wäre es deshalb, die 20 Millionen Euro, die an das Bundesland Hessen wegen der entzogenen Gemeinnützigkeit gezahlt werden mussten, zurückzubekommen. Es besteht die Chance, je nachdem wie unser Verfahren ausgeht, dass dies gelingt.

Zwanziger über die aktuelle Situation beim DFB:  "Nagelsmann ist in der Lage, in kurzer Zeit eine Mannschaft zu formen"

Werden wir sportlich: In Ihrer Amtszeit wurde der Grundstein für den WM-Sieg 2014 gelegt. Was lief anschließend beim DFB falsch?
Wir hatten nach der erfolgreichen Weltmeisterschaft 2006, ob das die Europameisterschaft 2008 oder das großartige Turnier in Südafrika im Jahr 2010 war, eine sehr erfolgreiche Zeit. Dabei haben die Nachwuchsleistungszentren der Bundesligavereine, die wir mit großem Nachdruck verpflichtend eingeführt haben, eine große Rolle gespielt. Die Talentförderung wurde deutlich verbessert. Im Jahr 2014 wurden wir schließlich Weltmeister. In dieser Zeit haben wir die richtigen Entscheidungen getroffen. Nach einem Titelgewinn bricht das aber auch schnell mal wieder zusammen. Es werden manche Punkte nicht mehr so intensiv verfolgt, weil man sagt, wir haben großartige Spieler, was soll uns denn passieren. Dieser Gedanke ist aber schon der erste Schritt in eine Fehlentwicklung. Genau das ist beim DFB eingetreten. Dass danach vielleicht an dem einen oder anderen älteren Spieler zu lange festgehalten wurde, sind nur Symptome. Es wird keine Mannschaft der Welt immer ganz oben stehen. Der Fußball schafft es immer wieder, dich eine Nummer kleiner zu machen.

Glauben Sie, dass Julian Nagelsmann die sportliche Talfahrt der letzten Jahre beenden kann und dem DFB-Team einen neuen Anstrich gibt?
Der Erfolg im Sport ist immer schwer, zu planen, und vorauszusehen. Das gilt auch für den Erfolg von Trainern. In der Situation, in der sich der DFB befand, hat Bernd Neuendorf richtig entschieden. Julian Nagelsmann ist in der Lage, in kurzer Zeit eine Mannschaft zu formen. Das hat er in wichtigen Spielen schon gezeigt. Trotzdem sollten wir abwarten. Wir treffen bei der Europameisterschaft auf Gegner, die auch Fußballspielen können. Das darf man nie unterschätzen.

Welchen Anteil hat auch Rudi Völler an der Wiederbelebung des DFB?
Der Anteil von Rudi Völler ist sehr groß. Er ist nicht nur ein erfahrener Trainer und Manager, sondern kennt die Spieler. Er ist mit den Spielern verwandt, kann man sagen. Darüber hinaus ist er bei den Fans die Figur, die über allem steht. Du brauchst eine Persönlichkeit, die bindet. Das schafft Rudi Völler durch seine Art und Kompetenz. Deshalb glaube ich, dass seine Verpflichtung die wichtigste Entscheidung war. Dass sie mit Julian Nagelsmann komplettiert werden konnte, gibt mir ein gutes Gefühl für diese Europameisterschaft.

Zwanziger traut dem DFB-Team den Halbfinal-Einzug zu

Sie gelten als Fußballfeinschmecker. Wie sehr gefällt Ihnen das Duo Wirtziala, also Florian Wirtz und Jamal Musiala?
Diese Spieler möchte man als Fußballästhet sehen. Aber die beiden alleine machen keine Mannschaft. Das ist das Besondere im Fußball. Du brauchst diese Spieler, die den Unterschied ausmachen, aber man braucht auch die Spieler, die über Laufbereitschaft und Zweikampfstärke kommen. Erst dann wird es eine gute Mannschaft. Mein alter Freund Günther Netzer, der mein fußballerisches Vorbild war, wäre ohne Herbert Wimmer bei weitem nicht so herausragend gewesen. Deshalb glaube ich, dass es eine Mischung aus den großartigen Spielern, die wir haben, aber auch starken Defensivspielern braucht.

Zum Abschluss stellt sich natürlich die Frage: Was trauen Sie dem DFB-Team bei der Europameisterschaft zu?
Deutschland gehört meiner Meinung nach zum Kreis der Mannschaften, die das Halbfinale und vielleicht auch mehr erreichen können. Das Potenzial dafür haben wir. Wir haben ein Publikum, das die Mannschaft unterstützen wird. Und wir haben auch von der Auslösung her einen Weg vor uns, der machbar ist. Aber wir wissen auch, dass Spanien, Belgien, die Niederlande und manch andere starke Gegner sind.

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