„Zurück zur Normalität“
Joachim Löw ist der erste Bundestrainer, der mit dem Freitod eines Nationalspielers umgehen muss. Er wirkt gefasst und entschlossen – doch auch erleichtert nach dem Telefonat mit Enkes Vater.
DÜSSELDORF Man spricht schnell davon, dass diese oder jene Pressekonferenz, dieser oder jener öffentliche Auftritt eines Trainers eine schwierige Sache sei, womöglich gar die unangenehmste und angespannteste Situation in seiner Karriere. Vor einem Spiel, das über seinen Job entscheiden könnte, nach einer schwerwiegenden Entscheidung, die sich als falsch herausgestellt hatte.
Bei Joachim Löw ging es am Montagmittag in der Mercedes-Benz-Niederlassung in Düsseldorf um ganz andere Dinge. Um wirklich Wesentliches.
Er war der erste aus dem Kreis der Verantwortlichen, der im Anschluss an die Trauerfeier für Torwart Robert Enke Stellung nehmen musste. Nie zuvor hatte ein Spieler aus der Nationalelf den Freitod gewählt, Löw ist der erste Bundestrainer, der nun damit umgehen muss. Damit leben muss.
Und so hatte sich Löw vorbereitet, das konnte man spüren. Er wirkte gefasst, entschlossen und sicher in seinen Antworten. Und er wusste genau, dass die Frage gestellt werden würde, ob er sich mit Enkes Vater Dirk, einem promovierten Psychotherapeuten, über die Depressionen von Robert unterhalten habe. Das hatte er. Am Samstag. „Dieses Gespräch war für beide Seiten sehr gut", berichtete Löw, „er hat mir einige Dinge erklärt, mit denen ich mich in den Tagen zuvor beschäftig hatte. Aber es war mir wichtig, die Dinge aus seiner Sicht zu erfahren, da er ja lange mit der Situation vertraut war.“
Dirk Enke hatte zuvor im „Spiegel“ betont, dass es bei dem Selbstmord seines Sohnes keine Rolle gespielt habe, dass ihn Löw nicht für die November-Länderspiele berufen habe: „Ein wichtiges Anliegen ist mir, Herrn Löw von der Frage zu entlasten: Was wäre, wenn ich ihn nominiert hätte? Ich glaube, dass Robert das in Ordnung fand, weil er neun Wochen raus war."
Für Löw eine Erleichterung. Die Frage, ob ihm eine Teilschuld angelastet werden könnte, sie hätte ihn von nun an quälen können.
„Natürlich hinterfragt man nach einem solch schrecklichen Ereignis alles", sagte Löw am Montag, „wir hatten aber alle keine Chance, Robert von diesem Vorhaben abzuhalten. Wir dürfen uns deshalb keine Vorwürfe machen.“
Am Vormittag hatte Löw samt dem Trainerstab versucht, mit der Mannschaft wieder zurückzufinden in den Alltag. Trainiert wurde in der Esprit-Arena von Düsseldorf. „Wir haben die Tage der Trauer gebraucht, wollen nun aber zurück zur Normalität", sagte der Bundestrainer. Es ist die Sehnsucht nach dem Alltag, nach sportlichen Fragen, nach Aufgaben – seien sie vor dem Hintergrund eines Selbstmordes noch so nachrangig. Dennoch wird es Veränderungen geben beim DFB, man will sensibler mit den Problemen des Einzelnen umzugehen. Löw: „Natürlich müssen wir forcieren, dass, wenn einer Probleme hat, er auch darüber spricht. Wir müssen auch Toleranz zeigen, wenn jemand einen Fehler macht. Wir wissen aber auch, dass wir uns in einem Bereich bewegen, wo von uns absolute Spitzenleistung verlangt wird. Der Konkurrenzkampf in der Nationalelf wird auch weiter so sein wie bisher. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft."
Also wird gespielt am Mittwoch (20.45 Uhr/live in der ARD) in Gelsenkirchen gegen die Elfenbeinküste. Nicht ohne noch einmal an Robert Enke zu erinnern. Per Gedenkminute, Trauerflor, einer Hommage auf der Videoleinwand und einem Trikot des Verstorbenen. Auf der Bank - inmitten der Ersatzspieler.
Patrick Strasser