"Wollen im Hier und Jetzt leben": Captain Julian Nagelsmann soll den deutschen Fußball retten

Boston - Am Dienstagnachmittag machte Julian Nagelsmann (36) zum ersten und einzigen Mal während der US-Reise die Tore auf. Der Bundestrainer bat zum Mannschaftstraining im Training Center Revolution, nur wenige hundert Meter vom Stadion der einstigen Football-Giganten New England Patriots entfernt. Eine komplett öffentliche Einheit dort also, wo Quarterback-Legende Tom Brady (46) den Grundstein für sechs Super-Bowl-Triumphe legte. Wenn das mal keine Inspiration ist.
Und Nagelsmann wollte keine Zeit verstreichen lassen, nachdem die Stars zuvor ihren Jetlag im Teamhotel Renaissance ausschlafen durften. Immer wieder griff der Coach während der 90-minütigen Einheit ein, er machte einige Übungen selbst vor und trieb seine Spieler an. "Nachrücken! Tempo! Schneller!", rief er über den Platz.
"Eine gute Statur": Julian Nagelsmann beeindruckt seine DFB-Stars
Zweifellos: Nagelsmann, der Captain America des DFB-Teams, geht voran. Brust raus, Feuer frei! Damit die Heim-EM ein großer Erfolg wird – am besten mit dem Titelgewinn am 14. Juli 2024 in Berlin. "Wir wollen uns nicht so triggern lassen von dem, was im Sommer kommt", sagte Nagelsmann: "Wir wollen im Hier und Jetzt leben, eine Stimmung erzeugen in der Mannschaft durch guten Fußball. Da bin ich guter Dinge und habe viel Vorfreude."

Das merkt man dem Bundestrainer in jeder Minute an, seit er vom erfolglosen Hansi Flick (58) übernommen hat. "Ich glaube, dass es richtig gut werden kann", sagte Kapitän Ilkay Gündogan (32) nach dem Training – und sorgte für einen lustigen Moment. "Ich bin ein bisschen überrascht, dass er so groß ist", meinte der Barcelona-Profi grinsend zum ersten Eindruck von Nagelsmann: "Im Fernsehen habe ich das gar nicht so wahrgenommen. Echt eine gute Statur."
Und eine gute Figur in den ersten Wochen als Bundestrainer. Nagelsmann gibt sich offen, authentisch, angriffslustig – und zugleich reifer als in seiner Zeit als Cheftrainer des FC Bayern. Nagelsmann rückt den Sport in den Mittelpunkt, das kommt an. Auch bei Uli Hoeneß (71).
Nagelsmann hat aus seiner Zeit beim FC Bayern gelernt – und konzentriert sich aufs Wesentliche
Nagelsmann sei "vollkommen unverbraucht", sagte Hoeneß im BR: "Er hat sich jetzt gut erholt und wird volle Fahrt nach vorne fahren." Hoeneß ergänzte sogar, dass es "nicht unbedingt klug" gewesen sei, Nagelsmann im März von seinem Bayern-Posten zu entbinden. Trauert da jemand dem Ex-Coach nach, obwohl mit Thomas Tuchel (50) ein Top-Nachfolger gefunden wurde?

Nagelsmann will sich an dieser Debatte nicht beteiligen – er hat offenbar dazugelernt. Während er in seiner Zeit beim FC Bayern oftmals als eine Art "Außenminister" agieren und zu vielen Themen außerhalb des Platzes Stellung nehmen musste, konzentriert er sich als Bundestrainer nur auf das Hier und Jetzt und sein persönliches Aufgabengebiet. "Ich mache mir wenig Gedanken um die Vergangenheit, es geht jetzt um die Zukunft", erklärte er zu den Hoeneß-Aussagen: "Dafür hat er (Hoeneß, d. Red.) mir viel Glück gewünscht, das ist mir noch mehr wert."
Pressing, Offensive, Tore: Nagelsmann will seinen Stil beim DFB durchsetzen
Es sind Sätze, die darauf hinweisen, dass Nagelsmann souveräner geworden ist, auch staatsmännischer, was als Deutschlands oberster Trainer keine schlechte Eigenschaft ist. Nun muss er es noch schaffen, seine Fußballidee auf das Team zu übertragen. Dafür sind die Tage in den Staaten mit den Spielen am Samstag gegen die USA (21 Uhr/MESZ) und Mittwochnacht (2 Uhr) gegen Mexiko da.
Druck verspüre er dabei nicht, versicherte der Coach, denn: "Ich habe meinen eigenen Anspruch als Trainer, dem ich gerecht werden will. Das ist ein ganz wichtiger Faktor, dass wir uns definieren über die Art und Weise, wie wir spielen." Mit hohem Pressing, offensivem Ansatz, vielen Toren – dem Nagelsmann-Stil eben, den man aus Hoffenheim, Leipzig und vom FC Bayern kennt.
Stabilität und Kreativität: So soll Bundestrainer Nagelsmann den deutschen Fußball retten
Hinzukommen soll nun mit Blick auf die EM ein gewisser Pragmatismus. "Einfachheit ist ein wichtiger Punkt", sagte Nagelsmann. Ähnlich wie es Sportdirektor Rudi Völler (63) als Interimscoach im Test gegen Frankreich (2:1) machte.

Das DFB-Team solle in Zukunft "mit einer Kombination aus der Stabilität und Bereitschaft im Zweikampf, die wir im September gegen Frankreich gesehen haben", agieren, forderte Völler, "und dem kreativen Ansatz von Julian". Das klingt vielversprechend. Nun muss es nur noch auf dem Platz genauso gut klappen wie im Training. Damit Captain Nagelsmann die deutsche Fußballwelt rettet.