Wolff Fuss: "Es fehlt das Herzstück des Fußballs"

Sport-Kommentator Wolff-Christoph Fuss spricht in der AZ über seinen Job bei Geisterspielen, wie er und seine Tochter davon auch profitieren - und was er dem FC Bayern in dieser Saison wieder zutraut
Patrick Strasser |
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AZ-Interview mit Wolff-Christoph Fuss: Der 44-Jährige ist einer der renommiertesten Sportkommentatoren in Deutschland und arbeitet für Sky. Er hat gerade das Buch "Geisterball - Meine irre Reise durch verrückte Fußballzeiten" (Verlag C. Bertelsmann, 208 S., 15 €) veröffentlicht.
imago images/Team 2 2 AZ-Interview mit Wolff-Christoph Fuss: Der 44-Jährige ist einer der renommiertesten Sportkommentatoren in Deutschland und arbeitet für Sky. Er hat gerade das Buch "Geisterball - Meine irre Reise durch verrückte Fußballzeiten" (Verlag C. Bertelsmann, 208 S., 15 €) veröffentlicht.
"Ich musste feststellen, wie sehr man doch am Mikrofon von der Atmosphäre im Stadion, von Stimmen und Stimmungen der 80 000 Fans auf den Rängen geleitet wird", sagt Kommentator Wolff-Christoph Fuss.
imago images/MIS 2 "Ich musste feststellen, wie sehr man doch am Mikrofon von der Atmosphäre im Stadion, von Stimmen und Stimmungen der 80 000 Fans auf den Rängen geleitet wird", sagt Kommentator Wolff-Christoph Fuss.

AZ: Herr Fuss, Corona hat alles verändert. Im Leben, in der Gesellschaft, im Sport. Fußball ohne Fans, in leeren Stadien. Hätten wir heute vor einem Jahr gesprochen, wäre das völlig abwegig, ja unvorstellbar gewesen. Wie hat sich Ihr Job als Kommentator seit dem Wiederbeginn der Bundesliga Mitte Mai verändert?

WOLFF-CHRISTOPH FUSS: Rein handwerklich fehlt eine elementare Erzählebene. Ich musste feststellen, wie sehr man doch am Mikrofon von der Atmosphäre im Stadion, von Stimmen und Stimmungen der 60 000 bis 80 000 Fans auf den Rängen geleitet wird, wie sehr das den Kommentar beeinflussen kann. Im Grunde fehlt das Herzstück des Fußballs.

Auf der anderen Seite bin ich in meinem Kommentar deutlich näher am Spiel und Freude mich noch mehr über spontane Tauben, ulkige Maskenmodelle, hochmotivierte Ordner oder eskalierende Trainer.

Fuss: "Ich bin deutlich näher am Spiel"

Spannend war, dass man als TV-Zuschauer plötzlich viel näher dran war, weil man teilweise die Spieler und deren Trainer über die Außenmikrofone gut verstehen konnte.

Richtig, man erhält interessante Impulse und Einsichten darüber, wie die Kommando- und Befehlsstruktur einer Mannschaft aussieht. Wer sind die Führungsfiguren im Team, wie nehmen sie ihren Auftrag wahr? Trotzdem fehlt bei der Übertragung das Salz in der Suppe: der Chor der Fans.

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Es war ein Freitag, der 13., als die Bundesliga zum Stillstand kam. Nach heftigen Kontroversen sagte die Deutsche Fußball Liga damals den 26. Spieltag der 1. und 2. Bundesliga kurzfristig ganz ab. Wie haben Sie diesen Einschnitt erlebt?

Gegen 16 Uhr wurde der Stecker gezogen. Alle Spiele, alle Termine, waren bis auf weiteres ausgesetzt. Alles war per Knopfdruck annulliert. Niemand wusste, wann und wie und ob es weitergeht. Zum ersten Mal seit meiner Schulzeit hatte ich wirklich Zeit.

Wie Sie in Ihrem Buch "Geisterball - Meine irre Reise durch verrückte Fußballzeiten", schreiben, durften Sie durch den Fußballstillstand eine neue, andere Welt intensiv wie nie kennenlernen.

Ich begann meine handwerklichen Fähigkeiten zu entdecken und baute meiner damals fast zweijährigen Tochter ein Gartenhaus. Vieles war wunderschön. Nicht morgens um acht im Flieger nach irgendwo zu sitzen, sondern stattdessen von einem Finger in Ohr oder Auge geweckt zu werden. Das hat etwas sehr Romantisches, das schafft intensive Bindungen.

Statt der Lektüre von Sportmedien: Wimmelbücher, Peppa Wutz oder die kleine Raupe Nimmersatt. "Sachen suchen bei Tieren" - ich finde alles. Auch das Kuschelzebra in der roten Schubkarre. Statt dass ich mich auf Fußballspiele vorbereitete, bauten wir Türme, kochten, machten Puzzle. Statt Spiele zu kommentieren, spielten wir Ball im Garten, schaukelten und hatten die beste Zeit. Das war wie Elternzeit, die ich auch deshalb so sehr genießen konnte, weil sich früh abzeichnete, dass der Fußball offenbar so wichtig ist, dass er fast symbolisch für eine Rückkehr zur neuen Normalität stehen durfte. Ein echtes Privileg.

Fussball als symbolische Rückkehr zur Normalität

Bis zum dritten Mai-Wochenende, dann ging der Spielbetrieb mit Geisterspielen weiter. Ihr erster Einsatz? Mit welchen Gefühlen?

Für mich ging es wieder los mit dem Spiel Union Berlin gegen den FC Bayern im legendären "Stadion an der Alten Försterei". Lange hatte ich meinem ersten Einsatz dort entgegengefiebert, weil die Stimmung dort so besonders sein soll. Das Wohnzimmer eines Vereins, der in besonderer Weise mit seinen Fans verwurzelt ist.

Und dann komme ich dort hin und man hört Vogelgezwitscher vom angrenzenden Wäldchen und die Geräusche des Rasensprengers. Es war grotesk - und auch sehr trist. Mein Redakteure und ich waren zwei Monate nicht geflogen, sonst immer vier bis sechs Mal pro Woche. Die Reise war gespenstisch, der Flughafen wie ausgestorben, in unserem Hotel am Kurfürstendamm waren wir fast die einzigen Gäste.

Fuss: "Der erste Spieltag war historisch"

Und dann ging's los? Fußball mit Fremdelgefühl?

Skurril. Der erste Spieltag hatte ja eine historische Dimension, die ganze Sportwelt schaute darauf, wie tragfähig ist das Hygienekonzept in der Bundesliga, wie wird es umgesetzt? Erinnert sich noch jemand daran, dass die Hertha-Spieler nicht Corona-konform jubelten und dafür gerügt wurden, während BVB-Profis extra einen virologisch unbedenklichen Torjubel einstudiert hatten?

Wie hat sich Ihr Kommentar in Zeiten ohne Publikum vor Ort verändert?

Ich bin wohl etwas ruhiger, weil ich nicht gegen eine Kulisse anreden muss. In deutlich mehr Phasen schweige ich bewusst, um die Kommunikation der Spieler, die Kommandos und Zurufe von der Bank, für sich sprechen zu lassen. Viele Zuschauer haben ein Bedürfnis nach Kulisse, daher haben wir bei Sky wahlweise Fan-Atmosphäre vom Band angeboten - für mich persönlich ist das allerdings nichts. Ich will immer wissen, was wirklich ist, und wie es ist.

2021 wieder mehr Fans in Stadien?

Wie hat sich der sterile Fußball aus Ihrer Sicht verändert?

Ich war zunächst mal überrascht, wie hoch die Qualität der Spiele war. Eine höhere individuelle Klasse hat dadurch noch mehr Vorteile. In sich gefestigte Mannschaften tun sich noch leichter. Teams, die Kompensationsarbeit leisten müssen, haben häufig Probleme, weil der emotionale Input von außen fehlt. Angenehm empfinde ich, dass die Theatralik und die Provokationen etwas nachgelassen haben.

Einige Herren verkneifen sich die Extra-Rolle auf dem Rasen nach einem vermeintlichen Foul. Aber ich befürchte, das verwächst sich wieder. Positiv ist auch: Die Schiedsrichter haben einen ruhigeren Blick aufs Spiel. Der Phase kurz vor Weihnachten hat man die extremen Belastungen der Mannschaften angesehen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass alle wissen: Wir sitzen alle in einem Boot, kennen den Auftrag der Vorbildfunktion und sollen den Leuten einen Rest an Normalität bieten.

Was erwarten Sie von 2021?

Dass es das Jahr wird, in dem die Gesellschaft das Virus in den Griff bekommt, obwohl die Auswirkungen noch eine Zeit lang zu spüren sein werden. Ich hoffe, dass nach und nach wieder mehr Fans in die Stadien dürfen. Und dann irgendwann in der Saison 2021/22 hoffentlich wieder volle Stadien - das wird eine gigantische Party. Ich sehne den Tag herbei, an dem ein Spiel unter voller Festbeleuchtung mit allem Drum und Dran stattfinden kann.

Wer räumt 2021 die Titel ab?

Wenn das kürzlich mit den drei Unentschieden die Schwächephase der Bayern war, dann führt in Sachen Meisterschaft kein Weg an ihnen vorbei. Außerdem werden sie sowieso dann noch besser, wenn sie die Zielflagge in Sichtweite haben. Ein Champions-League-Titel ist nicht planbar, aber auch hier gehört Bayern zum Top-Top-Top-Favoritenkreis. Wenn einer imstande ist, das Triple zu verteidigen, dann Hansi Flick.

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  • König Jannick am 02.01.2021 13:38 Uhr / Bewertung:

    Ich hätte ja vermutet, dass das Herzstück des Fußballspiels der Ball ist. Oder halt irgendwas, mit dem schon kleine Kinder kicken können, eine leere Dose oder so. Aber es sind die Fans. Wieder was gelernt.

    Stellt sich noch die Frage, ob es ökonomisch sinnvoll ist, dass sogar irgendwelche Kommentatoren 6x die Woche durch die Gegend fliegen. Ökologisch ist das ja sicher nicht.

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