WM-Nichtangriffspakt: Die Schande von Gijón
Ein Unentschieden bringt am Donnerstag sowohl Deutschland als auch die USA ins WM-Achtelfinale. Beide Seiten beteuern: Absprachen wird es nicht geben. Doch die Erinnerungen an die Schande von Gijon sind plötzlich wieder allgegenwärtig. Eine Zeitreise ins Jahr 1982.
Berlin – Die spanischen Zuschauer winken mit weißen Taschentüchern als Zeichen ihrer Verachtung, algerische Fans zeigen Geldscheine und vermuten Schiebung. Der Unmut der Zuschauer im Estadio Municipal El Molinón von Gijón gilt an diesem 25. Juni 1982 dem Standfußball Deutschlands und Österreichs. Dieser Schwarze Freitag ramponiert nachhaltig das Ansehen beider Nationalmannschaften.
Der 1:0-Sieg geht nicht als Revanche für das bittere 2:3 von Cordoboa bei der WM vier Jahre zuvor in die Annalen ein, sondern als Tiefpunkt der deutschen Länderspiel-Historie. Eine „stille Übereinkunft von 22 sportlichen Ganoven“, nannte es Willy Schulz, der Vize-Weltmeister von 1966. Wie aber kam es dazu? Noch heute gehen sogar die Ansichten der Beteiligten über das Geschehene auseinander. Die Ausgangslage zumindest war klar.
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Europameister Deutschland musste nach dem überraschenden 1:2 zum Auftakt gegen Algerien und dem 4:1 gegen Chile gewinnen. Österreich hatte zwar seine ersten beiden Partien siegreich gestaltet, war aber noch nicht sicher in der Zwischenrunde. Kurz vor dem Spiel hatte Algerien 3:2 gegen Chile gewonnen. Somit war klar: Deutschland musste gewinnen, Österreich durfte sich eine Niederlage mit zwei Toren erlauben.
Nach dem frühen 1:0 durch Horst Hrubesch drückt die Mannschaft von Trainer Jupp Derwall weiter aufs Tempo. Gegen Ende der ersten Halbzeit aber verflacht das Spiel zusehends. Immer gemächlicher passen sich die Spieler den Ball zu, vornehmlich in der eigenen Hälfte. Kommt ein gegnerischer Spieler zu nah, darf es auch immer häufiger ein Rückpass sein. Zweikämpfe oder Torschüsse finden vor allem in der zweiten Halbzeit so gut wie gar nicht mehr statt. Allein der Österreicher Walter Schachner bemüht sich zumindest ansatzweise um Torgefahr.
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Paul Breitner mochte daran 2006 im ZDF nichts Verwerfliches entdecken und betonte, irgendwann beginne fast jedes Team, ein Ergebnis zu „verwalten“. Schachner berichtete hingegen von einer Einigung in der Halbzeitpause, es beim 1:0 zu belassen. Nur er habe davon nichts mitbekommen. Auch unmittelbar nach dem Spiel zeugte manch Aussage zumindest von mangelnder Sensibilität. „Was interessiert mich das, wenn Tante Frieda zu Hause Zirkus macht“, sagte Uwe Reinders.
Österreichs Delegationsleiter Hans Tschak pöbelte gar: „Natürlich ist heute taktisch gespielt worden. Aber wenn jetzt deswegen hier 10 000 Wüstensöhne im Stadion einen Skandal entfachen wollen, zeigt das doch nur, dass die zu wenig Schulen haben. Da kommt so ein Scheich aus einer Oase, darf nach 300 Jahren mal WM-Luft schnuppern und glaubt, jetzt die Klappe aufreißen zu können.“ Die Tragweite dieses sportlichen Trauerspiels erkannten die jeweiligen TV-Kommentatoren.
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ARD-Reporter Eberhard Stanjek sprach von „Schande“ und schwieg minutenlang, ORF-Mann Robert Seeger „schämte“ sich und forderte die österreichischen Zuschauer sogar zum Abschalten auf. Österreichs Kommentator Edi Finger junior erinnerte sich: „Was lustig war: Wenn es ein Foul gab, hat der Gegenspieler den anderen fast abgebusselt und gesagt: Entschuldigung! Ich wollt’s nicht, tut mir so leid. Es war Wahnsinn!“ Eine spanische Zeitung behandelte das Spiel im Polizeibericht.
Die Schande von Gijon hatte Konsequenzen. Seit 1984 finden die letzten Spiele einer Gruppe bei internationalen Meisterschaften zeitgleich statt. Acht Jahre später wurde die Rückpassregel eingeführt, um Zeitschinden durch Zuspiele zum eigenen Torwart zu erschweren. Der Makel von Gijon aber belastet den Fußball bis heute.