"Wir werden belächelt"

Giovanni Zarrella, Sänger der Band BroSis und Kumpel von Bayern-Star Contento, sorgt sich nach den Skandalen um das Image Italiens – bleibt aber dennoch Fan der Azzurri
AZ: Herr Zarrella, man darf Sie ja getrost als fußballverrückt bezeichnen, oder?
GIOVANNI ZARRELLA: Alles andere wäre eine Lüge.
Kein Wunder, dass Ihr neues Lied „Forza Italia” heißt. Genau das muss die Squadra Azzurra bei dieser EM jetzt machen, sonst ist mal wieder in der Vorrunde Schluss.
So sieht’s aus. Ich hoffe, dass sich Kroatien und Spanien nicht bei ihrem Spiel auf ein 2:2 einigen, denn dann war es das für uns. Ich denke, dass für uns wieder die Gruppenphase am schwierigsten ist, wenn wir das schaffen sollten, traue ich Italien einiges zu.
Die Konstellation erinnert an die WM 2006, als Italien auch im letzten Spiel der Gruppenphase einen Sieg brauchte. Und den Ausgang kennen wir, Italien beendete dann das deutsche Sommermärchen und holte den Titel.
Ich habe mir das Spiel gegen Deutschland vor dem Fernseher angeschaut. Live im Stadion, das hätte mein Herz nicht mitgemacht. Ich liebe Deutschland, ich habe dem Land so viel zu verdanken. Ich hatte meine größten Erfolge hier, meine Familie konnte hier Fuß fassen und ein wunderbares Leben führen. Dafür bin ich unendlich dankbar und ich halte in jedem Spiel zu Deutschland – bis auf eines.
Wenn es eben gegen Italien geht...
Ja, da bin ich dann doch Italiener durch und durch.
Der WM-Erfolg wurde auch durch Marco Materazzi bedingt, der Frankreichs Superstar Zinedine Zidane so provozierte, dass dieser ausrastete und deshalb Rot sah.
Ich muss zugeben, ich war früher nie ein Fan von Materazzi. Aber der ist einer, der weint bei Niederlagen, der kann vor einem Spiel nicht schlafen, weil er so stolz auf die Nationalmannschaft ist. Er ist ein Typ wie Effenberg. Heutzutage würde er mit seiner Spielweise in jeder dritten Partie mit einer Roten Karte vom Platz fliegen, weil sich die Regeln geändert haben. Aber ich mag Typen, die sich fürs Team zerreißen. Ich stimme mich auf jedes Spiel vorher ein, schaue mir im Internet Videos an, wie unsere Spieler die Nationalhymne singen. Die Version vom Finale 2006, als Materazzi nach der Hymne in den Himmel schreit, verursacht mir jedes mal Gänsehaut.
Sie haben auch eine riesige Trikot-Sammlung.
Ja, ich bin mit Diego Contento vom FC Bayern sehr gut befreundet und mit ein paar anderen Bayern-Spielern auch. Die habe ich vor wichtigen Spielen manchmal angerufen und gefragt, ob sie mir von einem speziellen Gegenspieler das Trikot mitbringen, etwa von meinem Helden De Rossi. Die haben bei mir Ehrenplätze, die werden gerahmt.
Sie haben bei den Junioren von AS Rom gespielt, genau wie De Rossi.
Ja, aber wir haben nie zusammen gespielt. Das war eine tolle Zeit für mich, ich war zwei Jahre bei der Roma, ich habe bei meiner Großmutter gelebt. Ich war linker Verteidiger, ein bisschen wie Lahm. Ich habe immer die Zweikämpfe geliebt, das ist für mich Fußball.
Der italienische Fußball stolpert von Skandal zu Skandal. Domenico Criscito wurde im EM-Trainingslager wegen möglicher Verstrickungen in Wettskandale verhaftet, Stürmer Cassano sorgte mit abfälligen Bemerkungen über Schwule für Aufregung.
Das tut mir alles sehr weh. Die Politik verfällt, das Land verfällt und auch der Fußball verfällt. Wir werden doch von außen nur noch belächelt. Italien steckt in einer schweren Krise. Und dann kommt noch Cassano daher und sagt, er hofft, dass er keine „schwulen Mitspieler” habe. Er wollte wohl zeigen, was für ein Macho, was für ein Mann er ist, aber er hat sich nur wie ein Depp verhalten. Es wird sicher schwule Fußballer geben und damit sollte bitte auch keiner ein Problem haben. Cassano weiß gar nicht, wie sehr er Italien geschadet hat. Ich denke, es gibt nicht wenige, die kein Land als Europameister sehen wollen, das für solche Skandale sorgt.
Dafür hat ja auch Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi gesorgt.
Ja, ich wurde oft darauf angesprochen, wie es bei uns abgeht. So richtig bunga-bunga-mäßig. Berlusconi hat sich Dinge erlaubt, für die hätte er in jedem anderen Land schon längst seinen Posten aufgeben müssen. Für mich stand Italien immer für tolles Essen, wunderbare Mode, Dolce Vita. Aber mit all den Skandalen wird dieses Bild überlagert. Italien ist für mich das Größte, aber mir ist das alles im Moment ein bisschen zu larifari, ein bisschen zu faul. Von der Politik bis zum Fußball, das ist alles zu korrupt – und das tut weh.
Wie froh sind Sie, dass es um eine EM und nicht eine WM geht, schließlich ist Ihre Frau Jana Ina Brasilianerin? Da kann der Haussegen auch mal schnell schief hängen.
Ja, im Moment hängt bei uns nur die italienische Flagge über dem Bett, sonst auch die brasilianische. Wir bringen unserem Sohn Gabriel auch bei, dass Italien, Deutschland und Brasilien unsere Heimatländer sind, zusammen haben wir im Fußball zwölf Weltmeister-Sterne gesammelt. Er kennt auch alle deutschen und italienischen Spieler. Er wird auch fußballverrückt.
Sie haben gerade die Scheibe „Viva la Mamma” herausgebracht. Italienischer geht es eigentlich nicht.
Italienischer als Mamma? Unmöglich. Wir Italiener sind ja so, wir machen in der Öffentlichkeit gerne ein bisschen auf dicke Hose. Aber zu Hause sind wir eine ganz andere Nummer. Ich liebe und verehre meine Mamma, sie kam mit acht Jahren mit einem Koffer nach Deutschland und hat uns ein wunderbares Leben ermöglicht. Sie ist die Einzige, die nie etwas falsch macht!
Dann sollte die Mamma die Regierung übernehmen...
Oh ja, ich sollte die Partei „Viva la Mamma” gründen, die hätte eine Riesen-Unterstützung in Italien! Da wären alle mit ganzem Herzen dabei.
Zuletzt waren Sie mit Ihrem Herzen bei einem engen Freund – Ex-Bayern-Spieler Weltmeister Luca Toni.
Ich trauere sehr mit ihm. Dass er sein Kind bei der Geburt verloren hat, ist eine unfassbare Tragödie. Ich weiß, wie familienbezogen er ist. So ein Drama bricht einem das Herz. Wir Italiener sind Familienmenschen. So ein Baby, auch, wenn es noch nicht geboren ist, ist ja bereits ein Teil der Familie. Das Kinderzimmer ist gestaltet, die Verwandten haben schon die Flüge gebucht, um das neue Familienmitglied zu besuchen, alles ist bereitet. Und dann wird das, was der schönste Tag deines Lebens werden soll, zum schlimmsten Ereignis, das es wohl für Menschen gibt. Es läuft mir allein beim Gedanken eiskalt den Rücken runter. Ich wünsche Luca und seiner Familie alles, alles Gute.