„Wir haben versucht, ihm eine Stütze zu sein“

Beim ersten Training von Hannover 96 nach Enkes Tod erzählt Balitsch, dass er und andere Spieler von der Depression des Torwarts gewusst haben.
von  Abendzeitung

Beim ersten Training von Hannover 96 nach Enkes Tod erzählt Balitsch, dass er und andere Spieler von der Depression des Torwarts gewusst haben.

HANNOVER Der Schritt fest, der Blick geradeaus: Edward Kowalczuk und Dirk Bremser waren die Ersten, die um kurz vor 15 Uhr aus Tor 5 des Stadiongeländes von Hannover traten. Der Reha- und der Co-Trainer gingen voran auf dem gemeinsamen Weg in den Alltag zurück – die 150 Meter zum Trainingsplatz hinter dem Stadionbad. Tag eins bei Hannover 96 nach der Trauerfeier für Robert Enke. Ein regnerischer Novembertag, an dem die Mitspieler Enkes wieder funktionieren sollten.

Andreas Bergmann, der Chefcoach, fehlte wegen einer Grippe, aber 18 Profis machten das, was man in einer Trainingsstunde so tut: laufen, dehnen, passen, spielen. Und doch wirkte die Szenerie unheimlich. Am Stahlzaun der Übungsstätte hängen rote Rosen, vor dem Fanshop erinnert ein Meer aus Kerzen, Schals und Bildern an Enke.

Man habe „von Robert eine Aufgabe gestellt bekommen“, sagt Sportdirektor Jörg Schmadtke. Eine drängende Frage beantwortete die eigene Mannschaft, nachdem der Seelsorger Michael Hartlieb mit in der Kabine war und gemeinsam gebetet wurde. Das Bundesligaspiel am Samstag beim FC Schalke findet statt. „Das ist der richtige Weg zurück in die Normalität“, beteuert Schmadtke, der das Team „als stabil“ bezeichnen würde.

Eine Bezeichnung, die auf Hanno Balitsch zutreffen muss. Mit klarer Stimme berichtete der Mittelfeldspieler, Enkes engster Vertrauter aus der Mannschaft, dass er seit Wochen in die Erkrankung des Torhüters eingeweiht war. „Es gab Leute im Team, die von Roberts Problemen wussten. Wir haben versucht, ihm eine Stütze zu sein, ohne sein Vertrauen zu missbrauchen. Robert war in der Mannschaft nicht alleine. Er hatte sich mir geöffnet, nachdem er beim Nationalteam war.“

Auch die Physiotherapeuten Ralf Blume und Markus Witkop seien informiert gewesen – so geheim wie es anfänglich den Anschein hatte, waren Enkes Depressionen also nicht. Nur helfen ließ sich der Erkrankte eben von niemand. Balitsch bat nun die Fans darum, bis auf die Schweigeminute auf Schalke „nichts anderes tun wie sonst auch“.

Solche Offenheit erstaunt. Noch am Sonntag hatten Balitsch, Arnold Bruggink, Jiri Stajner, Steve Cherundolo, Altin Lala und Teambetreuer Thomas Westphal in schwarzen Anzügen den Sarg aus dem Stadion getragen – nun übten sie in speedgrünen Trainingsshirts schon mit dem Spielball, der auch in Gelsenkirchen rollen soll. Schmadtke glaubt, dass der Mannschaft dieser Zielpunkt gut tue. Schmadtke: „Lachen wird wieder ausdrücklich zugelassen.“

Noch aber lachte keiner im Übungsbetrieb.

Vor allem nicht der nachdenkliche Jörg Sievers. Der Torwarttrainer, vor Enke eine 96-Ikone zwischen den Pfosten, redete lange mit Florian Fromlowitz. Sievers und Fromlowitz hatten am meisten mit dem Verstorbenen zu tun. Der eine feuerte nun die Bälle aufs Tor, der andere fing und faustete. Fromlowitz wirkte konzentriert, fokussiert. Aber: Wie viel davon ist Fassade? „Es kann in Hannover in der nächsten Zeit keine neue Nummer 1 geben, es kann höchstens einen Stellvertreter geben“, sagte der 23-Jährige schon. Und: Was hatte Pfarrer Heinrich Plochg am Vortag gesagt? „Die nächsten Spiele und Trainingseinheiten werden nicht leicht sein – ganz besonders für den Spieler, der zwischen den Pfosten steht.“

Fromlowitz, Rückennummer 27, muss den Torwart Enke ersetzen. „Für Florian wird es am allerschwierigsten“, glaubt Klubpatron Martin Kind. Sein Manager Michael Serr, auch ein Ex-Keeper, erklärt, dass Fromlowitz kein „spezielles Programm“ benötige. Dessen Verhältnis zu Enke war fast freundschaftlich – Fromlowitz hatte sich zuletzt ausdrücklich nur als Lehrling gesehen. Nun hat er mehr als eine Meisterprüfung vor sich.

Frank Hellmann

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