„Wieso haben wir nichts bemerkt?“
HANNOVER - Noch immer sitzt der Schock tief nach dem Selbstmord von Robert Enke. Kein Mitspieler will von den Depressionen des Nationaltorwarts gewusst haben. Verantwortliche fordern nun, dass sich im Fußball etwas ändert
Am Mittwoch waren die Nationalspieler aus ihrem Quartier in Bonn abgereist. Innerlich völlig aufgewühlt. Nun müssen sie im Kreise ihrer Familien mit ihrer Trauer über den Selbstmord des nur 32 Jahre alt gewordenen Nationaltorhüters Robert Enke, der seit Jahren unter Depressionen gelitten hatte, fertig werden. Dabei werden sie sich immer wieder eine Frage stellen, die DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach formuliert hat: „Jeder hat sich gefragt: Hast du etwas verpasst? Hätten wir etwas bemerken müssen? Und wieso haben wir nichts bemerkt? Auch nicht die Mediziner?“
Eine quälende Frage, die nicht zu beantworten ist.
Der DFB-Generalsekretär machte deutlich, dass es für den Verband unmöglich gewesen sei, die psychischen Probleme Enkes zu erkennen: „Seine Frau hat ihm jegliche Hilfe angeboten, auch der Arzt war nah an ihm dran. Aber es gibt kein Patentrezept, insbesondere, wenn sich die Spieler nicht öffnen.“
Er ist mitten unter den Profis, trainiert mit ihnen, scherzt mit ihnen, in der Umkleide, beim Essen, auf Reisen – und doch ist er der unbekannte Mitspieler. Auch Freunde von Enke wie Per Mertesacker oder Michael Ballack, der den Torwart seit seinem 13. Lebensjahr kannte, haben nichts bemerkt. Konnten sie auch nicht. Als die Depressionen bei Bayern-Profi Sebastian Deisler zum ersten Mal ausgebrochen waren, waren die Mitspieler auch völlig überrascht.
Den tragischen Fall Enke wollen die Verantwortlichen der Nationalmannschaft, der Vereine und bei der DFL nutzen, um über Lehren für das Profigeschäft nachzudenken.
„Depressionen dürfen kein Tabu-Thema sein“, sagt DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus. „Wir haben eine Aufgabe gestellt bekommen von Robert, über die sollten wir nachdenken“, gibt Hannovers Manager Jörg Schmadtke zu bedenken. Und Werder-Coach Thomas Schaaf sieht den Zeitpunkt für einen öffentlichen Appell gekommen. Vor dem ersten Training Bremen nach Enkes Suizid hat einen emotionalen Appell an seine Spieler gerichtet: „Scheut euch nicht, jemandem zu helfen! Scheut euch nicht, Hilfe zu suchen! Achtet aufeinander!“
Der Druck nehme zu im Fußballgeschäft, auch von Seiten der Medien wie im Falle der „tz“-Berichterstattung über die angebliche Verwicklung von Bastian Schweinsteiger in einen Wettskandal vor der WM 2006. „Wichtig ist zu erkennen, dass das alles junge Menschen sind, die im Licht der Öffentlichkeit stehen“, erklärte Niersbach und meinte weiter: „Über Spieler wie Bastian Schweinsteiger, die in Schlagzeilen der Wettmanipulation bezichtigt werden, wird dann gesagt: ,Das müssen sie aushalten.’ Dabei sind auch Fußballer ganz normale Menschen mit ganz normalen Gefühlen.“ Der Prozess des Umdenkens hat begonnen. ps
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