Wenn die Seleçao spielt, steht Brasilien still

Sao Paulo (dpa) - Brasilien nähert sich dem Ausnahmezustand. Der Countdown für den Anpfiff in Südafrika läuft und die 190 Millionen Brasilianer freuen sich auf Tage, an denen nur eins zählt: Fußball und die Seleçao, Brasiliens Nationalelf.
von  Abendzeitung
Brasiliens Kaka verbreitet im Training in Südafrika gute Laune.
Brasiliens Kaka verbreitet im Training in Südafrika gute Laune. © dpa

São Paulo (dpa) - Brasilien nähert sich dem Ausnahmezustand. Der Countdown für den Anpfiff in Südafrika läuft und die 190 Millionen Brasilianer Freude sich auf Tage, an denen nur eins zählt: Fußball und die Seleção, Brasiliens Nationalelf.

Mit Vorrunde, Achtel-, Viertel-, Halbfinale und Endspiel sind es nur sieben Partien und keiner zweifelt schon aus Nationalstolz daran, dass Brasilien sieben Mal aufläuft. «Wenn die Seleção spielt, dann steht hier alles still», sagt Ronildo, der Taxifahrer, der eigentlich - völlig untypisch für einen Brasilianer - nicht viel vom Fußball hält, dann aber doch eine halbe Stunde leidenschaftlich über dieses Thema diskutiert.

Viele Firmen geben ihren Angestellten für die Spiele Brasiliens nachmittags frei, weil die Chefs genau wissen, dass an Arbeit nicht zu denken ist, wenn Luis Fabiano stürmt, Robinho dribbelt und Kaká zaubert. Viele Balkone an den mehr als 20-stöckigen Wolkenkratzern in São Paulo sind mit Nationalflaggen ausstaffiert, Autos mit Fähnchen bestückt und die Vorräte an Feuerwerkskörpern aufgefüllt. Seit Wochen flimmern in den brasilianischen Wohnzimmern Werbe-Spots über die Bildschirme, in denen Kreditkartenfirmen, Ministerien und Getränkekonzerne mit dem Mega-Event in Südafrika werben, bei dem Brasilien seinen sechsten WM-Titel klar machen will.

«Brasilien gegen den Rest der Welt», wirbt die Biermarke Brahma martialisch in einem Spot. Sie lässt die elf Spieler des fünfmaligen Weltmeisters, die «Guerreiros» (Krieger) der Seleção, aus einem Tunnel auf den Rasen laufen, während aus dem anderen gleich die Spieler aller anderen Nationen emporsteigen. Auch angesichts dieser beeindruckenden Übermacht bleibt Luis Fabiano gelassen. Mit einem coolen Wink fordert er seine Gegner zum Angriff auf.

Fußball ist in Brasilien wie in kaum einem anderen Land auch Politik und so rief Präsident Luiz Inácio Lula da Silva seine Landsleute im Wahljahr 2010 auf, vereint und geschlossen hinter der Seleção zu stehen. «Wir sind ein Volk von 190 Millionen Trainern», erklärte Lula die fußballerische Diskussionsfreude der Brasilianer. Keine Party, kein Kneipenbesuch kommt derzeit ohne das Thema WM aus und jede Entscheidung von Nationaltrainer Carlos Dunga wird detailreich analysiert.

Eigentlich gilt Brasilien schon ohne WM als fußballverrückt. Wenn in São Paulo die Clubs wie Corinthians, Palmeiras oder FC São Paulo spielen, weiß man den Spielstand, ohne im Stadion zu sein oder vor dem Fernseher zu sitzen: Jeder Treffer wird mit Raketen gefeiert. Hupkonzerte begleiten den Spielverlauf und Fans stürmen auf die Straße oder auf die Balkone und brüllen sich bei einem Tor ihrer Mannschaft die Freude aus dem Leib: «Gooooool!»

Wenn die WM am Freitag endlich beginnt, dann stimmt sich das Land nicht nur auf das Auftaktspiel der Seleção am 15. Juni gegen Nordkorea ein. Die WM in Südafrika ist auch ein Warmlaufen auf die «Copa 2014», die in Brasilien stattfindet. Für die Brasilianer heißt es nach dem Finale am 11. Juli: «Nach der WM ist vor der WM.»

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