Vor 20 Jahren - Bosman erschüttert Fußball-Europa

Jean-Marc Bosman steht für ein Urteil, das den Fußball revolutioniert hat. Der Franzose klagte einst, sein Fall ging vor den EuGH. Bosman erklärt nun, 20 Jahre danach, warum ihm das Urteil mehr negative als positive Folgen bescherte.
von  dpa

Stuttgart - Jean-Marc Bosman hat seine Sportart mal geliebt, jetzt blickt er mit Verachtung auf den Fußball in Europa. Früher sei es ein schönerer und geselligerer Sport gewesen, sagt der Ex-Profi der italienischen Zeitung "Gazzetta dello Sport".

Aber mittlerweile habe er sich in eine Maschinerie verwandelt. "Die Spieler verdienen astronomische Summen, Verträge werden nicht respektiert", meint er verbittert. "Der Fußball ist zum Geschäft geworden." Und Bosman selbst hat auf den Tag genau vor 20 Jahren seiner Meinung nach maßgeblich dazu beigetragen.

 

Wegen Bosman-Urteil dürfen Profis heute ablösefrei wechseln

 

Als Profi ist er nur Mittelmaß, doch mit seinem mutigen Schritt löst er Anfang der Neunziger eine Fußball-Revolution aus. Das nach ihm benannte "Bosman-Urteil" durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) am 15. Dezember 1995 erschüttert die Funktionäre. Nach dem Ende ihres Vertrags dürfen Fußballspieler in Europa nun ablösefrei den Verein wechseln. Bosman durfte das nicht. Die Geschichte des Belgiers ist auch die Geschichte eines Mannes, der einen langen Kampf gewonnen, aber dennoch viel mehr verloren hat.

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Bosman wird 1964 in Montegnée geboren, einem Vorort von Lüttich, unweit der Grenze zu Deutschland. Noch heute lebt er in der Region. Das Beste, was der Fußballprofi während seiner kurzen Karriere erleben darf, sind zwei UEFA-Cup-Spiele gegen den FC Tirol und Rapid Wien. Bosman ist Mittelfeldspieler, nicht sonderlich begabt und daher auch kaum bekannt. Seine Laufbahn beginnt er beim belgischen Erstligisten Standard Lüttich, berühmt wird der heute 51-Jährige aber erst als Spieler des Stadtrivalen RFC.

 

Funktionäre wollten Bosman offenbar mit Geld von der Klage abbringen

 

Als 1990 sein Vertrag ausläuft, will der Club ihn zwar verlängern, bietet Bosman aber deutlich weniger Gehalt an. Das lehnt der mehrfache Familienvater ab und will stattdessen zum französischen Zweitligisten USL Dünkirchen wechseln. Der RFC verlangt von den Franzosen dafür eine hohe Ablösesumme von rund 600 000 Euro, die weder Dünkirchen noch ein anderer Club für den Mittelfeldspieler bezahlen möchte. Bosman beginnt zu klagen.

"Jean-Marc war in der Tat der Einzige, der den Mut hatte, es zu tun", sagte der Generalsekretär der internationalen Spielergewerkschaft FIFPro, Theo van Seggelen, dem Internetportal "spox.com". "Ich weiß, dass sie damals versucht haben, ihn umzustimmen und ihm eine Menge Geld geboten haben."

 

Nach dem Urteil: "Ich kann dir garantieren, dass dein Leben zu einer Tortur wird"

 

Doch Bosman lehnt das ab und trifft damit eine für ihn folgenschwere Entscheidung. Über fünf Jahre dauert der Prozess, den in Fußball-Europa niemand so wirklich ernst nimmt. Bis der EuGH 1995 mit seinem Urteil den Profifußball für immer verändert.

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"Nach so einem Prozess gegen eine der mächtigsten Organisationen der Welt kann ich dir garantieren, dass dein Leben zu einer Tortur wird", sagt er. Seit dem Gerichtsentscheid genießen Profifußballer in Europa wie andere Arbeitnehmer Freizügigkeit. Nach Bosmans Ansicht hat das in den Folgejahren zu explodierenden Gehältern geführt.

 

Nach dem Urteil lehnten ihn viele Clubs ab - es folgte der Alkohol

 

Sein Argument: Nach dem Ende eines Kontrakts gibt es für die Clubs seit dem Urteil keinen entsprechenden Ersatz in Form einer hohen Ablösesumme mehr. Also müssen sie die begehrten Spieler langfristig binden. Das lässt die Gehälter um ein Vielfaches steigen.

Bosman hatte nie etwas davon, die meisten Clubs lehnen ihn nach dem Urteil ab. Für den RCS Visé macht er in der Saison 1995/1996 noch sieben Spiele und schießt ein Tor. Dann beginnt sein Absturz, zwischenzeitlich verfällt er dem Alkohol. "Es gibt zahlreiche Spieler, die jetzt ein schönes Leben haben", sagte er dem britischen "Guardian". "Ich, auf der anderen Seite, ich verdiene nichts."

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