Vitali Klitschko: "Sie wollen mich mundtot machen"

Vor dem EM-Start in seiner Heimat spricht der Vitali Klitschko über die Probleme im Land, die Menschen und die Politik – und verrät, wen er sich als Sieger wünscht.
von  Matthias Kerber
Mit seiner Partei politisch in der Ukraine engagiert: Vitali Klitschko.
Mit seiner Partei politisch in der Ukraine engagiert: Vitali Klitschko. © dpa

Vor dem EM-Start in seiner Heimat spricht der ukrainische Box-Champion Vitali Klitschko über die Probleme im Land, die Menschen und die Politik – und verrät, wen er sich als Sieger wünscht.


AZ: Herr Klitschko, jetzt ist es soweit, die Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine und Polen geht los, was sagt der berühmteste Ukrainer zu diesem Mega-Event?


VITALI KLITSCHKO: Das ist ein Jahrhundert-Ereignis. Man erhält nur alle Jubeljahre so eine Chance, sich der Welt zu präsentieren. Die Deutschen haben 2006 die Chance bei der WM in vorbildlicher Weise genutzt. Sie haben der Welt ihr wahres Gesicht gezeigt und mit einer unglaublichen Lebensfreude alle Dämonen der Vergangenheit vertrieben. Ich kannte dieses wahre Deutschland schon lange, aber es gab viele Menschen, denen die Bilder Vergangenheit näher waren als die Gegenwart. Deutschland muss für die Ukraine da Vorbild sein – auch wir sollten der Welt zeigen, dass die Ukraine ein Land mit einer großen Zukunft ist. Aber ich habe große Befürchtungen, dass sich all das ins Gegenteil verkehrt.


Wenn man sich die Vorkommnisse der letzten Zeit in der Ukraine anschaut, kann einem Angst und bange werden. Im Parlament kam es gerade zu Schlägereien.


Ja, das war schändlich und peinlich. Jeder Politiker, jeder Mensch, der glaubt, die Macht der Worte durch die Macht der Fäuste ersetzen zu können, zeigt doch nur, dass er keine innere Macht, keine innere Stärke hat. Selbst wenn du alle Argumente auf deiner Seite hast, sobald du so tief sinkst, dass du Diskussionen mit Fäusten führst, hast du Unrecht. Selbst Recht wird durch Gewalt zu Unrecht.


Es gab auch viel internationale Kritik daran, dass in der Ukraine die Straßenhunde für die EM getötet wurden.


Ich verstehe den öffentlichen Aufschrei. Ich hatte selber früher Hunde, ich liebe Tiere. Ich bin der Meinung, dass ein Mensch nirgendwo seine Seele klarer offenbart als im Umgang mit den Schwächsten in unserer Gesellschaft. Das sind Kinder und Tiere. Wer Tiere schlecht behandelt, kann in meinen Augen kein guter Mensch sein.


Mehrere Politiker haben angesichts der Verurteilung von Julia Timoschenko, die im Westen als Ikone der Demokratiebewegung gefeiert wird, dazu aufgerufen, nicht in die Ukraine zu reisen.


Dem stimme ich nicht zu. Man muss hier zwei Ebenen klar unterscheiden. Es gibt die Politik und es gibt die Menschen. Die Menschen in der Ukraine haben es nicht verdient, isoliert zu werden, gebrandmarkt zu werden. Ich bin ein kritischer Mensch, prangere vieles an, was in der Ukraine schief läuft, aber die Menschen hier sind wunderbare, gastfreundliche Menschen. Sie dafür leiden zu lassen, was die Politiker falsch machen, ist nicht richtig. Sie leiden schon unter den eigenen Politikern, sie müssen nicht auch noch vom Bannstrahl der internationalen Politik getroffen werden. Ich würde jedem Politiker empfehlen, hierher zu kommen und denen, die für die Missstände verantwortlich sind, klar zu sagen, was ihnen nicht passt. Aber man darf es nicht auf dem Rücken des Volkes austragen.


Das britische Außenministerium hat eine Reisewarnung für die Ukraine ausgeben, da man Angst vor Übergriffen auf Farbige hätte.


Ich glaube, man kann mir nicht den Vorwurf machen, dass ich ein Schönredner bin. Aber den Rassismusvorwurf halte ich für ein Lügengebäude. Aus 70 verschiedenen Nationen kommen die Leute, die in der Ukraine leben und arbeiten. Es gibt hier viele Farbige. In jedem Land gibt es Übergriffe durch faschistische Idioten, das gibt es auch in Deutschland – aber es sind Einzelfälle, die nicht dazu führen dürfen, ein Volk als rassistisch zu diffamieren. Ich bin mir sicher, dass die Besucher bei uns sicher sind. Egal, ob sie farbig sind oder nicht.


Auch Sie haben Ihre Probleme. Ein Gericht in der Ukraine hat Ihnen verboten, gewisse Aussagen über Kiews Ex-Bürgermeister Tschernowezki zu wiederholen, den Sie als „Dieb” bezeichnet haben sollen.


So wird in der Ukraine Politik gemacht. Ich sage nur so viel: Es war das gleiche Gericht, das Julia Timoschenko verurteilt hat, das nun auch mich mundtot machen will. Gerichte sind in der Ukraine manchmal ein Mittel der politischen Auseinandersetzung. Timoschenko ist sicher keine Heilige, als die sie manche verklären, aber der Prozess gegen sie war ein politischer, um eine Oppositionspolitikerin auszuschalten. Aber ich kämpfe mit der Partie Udar gegen die Missstände. Man hat viel versucht. Man hat versucht zu diskutieren, man wurde nicht gehört. Man hat Briefe an die Mächtigen geschrieben, man erhielt keine Antwort, man hat demonstriert – und wurde abgedrängt. Die einzige Chance, die man hat, ist selber aktiv zu werden und das System von innen zu ändern. Die Ukraine gilt als eines der korruptesten Länder der Welt und solange es Korruption gibt, wird keine politische Reform greifen. Wir kämpfen dafür, dass die alten Zöpfe abgeschnitten werden.


Was treibt Sie an?


Ich liebe dieses Land und seine Menschen. Es ist das Land meiner Vorfahren, die hier begraben sind. Ihr Andenken ist mir Verpflichtung, dieses Land an unsere Kinder und Enkel so zu übergeben, dass wir stolz drauf sind. Jedes Jahr verlassen fünf Millionen Ukrainer das Land, weil sie sicher sind, dass es ihnen woanders besser gehen wird. Ich will, dass unsere Kinder das Land nicht mehr verlassen müssen. Vor 20 Jahren habe ich für die Unabhängigkeit der Ukraine von Russland gestimmt, wir hatten viele Träume. Vieles ist falsch gelaufen, aber Träume sterben nie. Wenn man sieht, wie sich Polen in diesen 20 Jahren entwickelt hat, und wie langsam es bei uns ging, dann ist klar, dass wir noch viel vor uns haben, Aber die EM wird uns dabei helfen. Ich bin mir sicher, dass auch wir das schaffen.


Sie sind selber großer Fußball-Fan.


Absolut! Es ist ein tolles Spiel, das begeistert. Das verbindet. gerade so eine EM ist ein Fest der Menschen, der Freude, des Lebens. Alle Nationen kommen zusammen und zelebrieren dieses Fest der Einigkeit. Es gibt so viel mehr, was uns verbindet als Dinge, die uns trennen. Wir sind alles Menschen aus Fleisch und Blut, die träumen, die lieben, die leiden. Nelson Mandela sagte einst: Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern. Das sehen wir jeden Tag im Kleinen, das werden wir bei der EM im Großen sehen.


Als Kicker haben Sie sich selber nie groß hervorgetan.


Ich habe als Kind viel gespielt, wir waren oft auf dem Bolzplatz, aber ich habe mich dann für den Kampfsport entschieden. Aber meine Kinder haben mich wieder dazu gebracht, dass ich jetzt wieder viel mehr spiele. Wir bolzen oft in meinem Garten.


Und wer gewinnt?


Meine Kinder natürlich. Da verliere ich auch sehr gerne. Es ist der einzige Moment, wo ich eine Niederlage als Sieg empfinde, weil der Lohn dafür das Lachen der Kinder ist.


Wer wird Europameister?


Die Ukraine oder Deutschland. Ich liebe beide Mannschaften, beide Nationen. Da wäre ich als immer auf der Siegerseite, egal, wer sich durchsetzt.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.