VfL Wolfsburg: Die Party-Amateure
Muss Feiern gelernt sein? In Wolfsburg üben sie noch – für die größte Fete aller Zeiten, falls der Verein am Samstag tatsächlich erstmals Meister wird
WOLFSBURG Felix Magath weiß ja, wie man Meister wird. Deshalb ist er mit seiner Wolfsburger Mannschaft am Himmelfahrtstag ausgerückt: Zwei Tage ins Trainingslager im Haus Rhode. Das ist ein ehemaliger Gutshof in der Einöde, nicht mal das Handynetz reicht zuverlässig bis hierher. Das Anwesen gehört VW. Wo der Konzern sonst Manager schult, schließt Magath seine Kicker weg. Gut geschützt von dem ganzen Wahnsinn.
In Wolfsburg ist die Vorbereitung auf die Meisterschaft schwierig geworden. Der nötige Punktgewinn des VfL am Samstag gegen Werder (Live-Ticker bei abendzeitung.de) dürfte für die Mannschaft leichter sein, als die Aufgeregtheit in der Stadt zu ertragen.
Bei Bäcker Steinecke verkaufen sie stolz grün-weiß glasierte VfL-Amerikaner: „40 Stück am Tag!“ Die Eisdiele Olivier preist den Wölfe-Becher an und Meister-Eis in den Klubfarben. Eine örtliche Brauerei will am Samstag 3000 Liter Meisterbier ausschenken – was noch immer nicht genehmigt worden ist in all der Hektik.
Im feinen „La Grotta“, dem bevorzugten Speiselokal der Profis, tragen Chefin Rocio Stromberg und ihre Kellnerinnen seit Dienstag giftgrüne statt schwarzer Blusen. Sogar Magath, der hier speist, wird „der neue VfL-Teller“ empfohlen, reichlich Fleisch für 13,90 Euro. Magath unterschreibt zwar auf den Blusen, isst aber dann doch lieber Fisch.
Man kann des Trubels in der Provinz bald satt werden. In der 130000-Einwohner-Stadt ähnelt die Stimmung vor der Meisterparty einem Kaff, dessen Herrenteam erstmals im DFB-Pokal mitspielen darf. In Sachen Titelfeiern sind die Wolfsburger Party-Amateure.
Magath spürt das. Zum öffentlichen Training neben der VW-Arena kamen neulich 700 Fans. Die zwei einsamen Ordner versuchten gar nicht erst, die Massen am Autogrammeholen zu hindern. Als Magath das Team endlich zum Warmlaufen beordert hatte, aber Torjäger Grafite auf der anderen Seite des Zauns noch immer Unterschriften verteilte, war Schluss mit lustig. Magath schickte Bernd Hollerbach, seinen Gehilfen und Kettenhund, los, um den Brasilianer lautstark zur Arbeit zu bewegen. Und bei nächster Gelegenheit jagte Magath den verdutzten Jungprofi Daniel Adlung (21) vom Übungsrasen unter die Dusche. Der habe schlecht trainiert, befand der Trainer. Soll bloß keiner auf die Idee kommen, schon in Feierlaune zu sein.
Das bleibt anderen überlassen. Vorm Rathaus entsteht eine Stahlrohr-Bühne, von der die Fußballhelden am Samstagabend winken sollen: ein Ersatz für den Balkon, der dem Rathaus fehlt. Sieben Großleinwände fürs Public-Viewing werden errichtet, 28 Getränke- und 20 Imbissstände. Draußen auf der Fanmeile rund um die Porschestraße (die gibt es in Wolfsburg tatsächlich) sollen es 100000 Menschen werden; auch VW-Herrscher Ferdinand Piëch hat sich angesagt.
So viel Wolfsburg war noch nie. So viel Hektik auch nicht. Selbst die „Supporters Wolfsburg“, treue Fans also, haben ihre Stadion-Choreographie für Samstag noch nicht ganz im Griff und suchen Helfer.
Ob der liebe Gott hilft? Hans-Joachim Lenke, der Superintendant des evangelischen Kirchenkreises, ermuntert die VfL-Fans in der örtlichen Zeitung, fürs Wolfsburger Wunder zu beten: „Natürlich darf man das. Man darf ja für fast alles beten. Und da wir einen souveränen Gott haben, wird er damit auch souverän umgehen.“ Vermutlich betet Magath, dass dies alles bald vorbei ist.
Michael Schilling