Toni Schumacher: "Sechs Wochen komplett weggesperrt"

AZ: Herr Schumacher, die EM 1980 war Ihr erstes Turnier als Nr.<TH>1 im deutschen Tor. Dabei hatte der Trainer eigentlich andere Pläne.
TONI SCHUMACHER: Sepp Maier hatte einen Unfall und musste aufhören. Norbert Nigbur sollte Nachfolger werden, hat sich aber, als er beim Abendessen vom Tisch aufstand, den Meniskus eingeklemmt. Dann ist Jupp Derwall auf mich gekommen. Ich hatte ja 1977/78 das Double geholt mit Köln, war also kein unbeschriebenes Blatt mehr. 1979 hatte ich mein erstes Länderspiel, und als ich zur EM kam, waren es ungefähr vier halbe und zwei ganze Spiele.
Was für ein Team war das damals?
Eine fantastisch junge Mannschaft: Bernd Schuster, Klaus Allofs, Hansi Müller, Kalle Rummenigge, die Förster-Bruder und Lothar Matthäus, der sein erstes Spiel machte, und ein paar Alte mit Erfahrung wie Bernd Cullmann und Ennatz Dietz – das war schon ein prima Team.
Was ist Ihnen vor allem in Erinnerung geblieben?
Das Spiel gegen Holland! Dieses 3:2, als Klaus Allofs drei Tore gemacht und Bernd Schuster zwei vorbereitet hat. Eine Hitzeschlacht war das, in Neapel. Und dann natürlich gegen Jean-Marie Pfaffs Truppe da...
...das Finale gegen Belgien.
Genau, die zwei Tore von Horst Hrubesch.
Wie war eigentlich Jupp Derwall als Trainer?
Er war mehr der Typ Kumpel, kein ganz strenger Trainer, hat uns immer ein bisschen Leine gelassen. Das war gut, das passte alles wunderbar. Damals durften die Journalisten ja noch im selben Hotel wohnen. Heute undenkbar! Da gab's dann eine gedachte Linie im Garten, vom Kaktus bis rüber zum Schwimmbecken: links durften die Journalisten sein, rechts die Spieler.
Legendäre Fotos: der junge Lothar Matthäus in Badehose!
Er war ja noch ein Bubi! Schnell war er schon, aber halt noch sehr brav. Es brauchte schon noch ein paar Spiele, bis er frecher wurde.
Sie sind mit 21 gehaltenen Strafstößen nach Rudi Kargus der beste Elfmeter-Killer der Bundesliga...
Das lag mir einfach. Ich hab' mich natürlich immer akribisch vorbereitet, meine Freunde sagen, ich war der Vorreiter der ran-Datenbank. Denn ich hab' alles aufgeschrieben, was ich im Fernsehen gesehen hab', meine Freunde haben mir alle Elfer zukommen lassen, die sie irgendwo gesehen haben. Wenn internationaler Fußball kam, hab' ich mir immer die Namen notiert: welcher Fuß, welche Ecke, geschossen oder geschoben. Mit dieser Vorabinformation bin ich in die Spiele und ins Elfmeterschießen gegangen. Ich wusste immer, wer bei wem antritt.
Manuel Neuer bekommt diese Infos wahrscheinlich aus dem DFB-Computer...
Heute kriegen die das genau so vorbereitet. Das ist übrigens ein wichtiger Grund, warum die deutsche Mannschaft in den Turnieren immer so weit kommt: weil das Team hinter dem Team einfach fantastisch ist. Egal ob Physios oder Zeugwarte, alles ist top organisiert. Wenn 1986 in Mexiko Schnee gefallen wäre, hätte einer den Koffer aufgemacht und Schneeschuhe rausgeholt. Unsere Leute überlassen nix dem Zufall.
Wen zählen Sie denn diesmal zu den Favoriten?
Die Holländer schätze ich stark ein. Frankreich hat viel gutzumachen. Wir müssen halt sehen, wie der Schweinsteiger sich jetzt macht. Er hatte lange keinen echten Test mehr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Jogi ihn direkt von Anfang spielen lässt.
Aber vielleicht gibt's am Ende was zu feiern. Wie haben Sie denn damals den Titel begossen?
Wir haben ohne Frauen gefeiert. Sie durften damals noch nicht mit dabei sein. Erst bei der WM in Mexiko 1986 wurde das gelockert, da durften sie im Nachbarort wohnen. Aber ich hab' meine Frau nie mitgenommen, wollte mich immer nur aufs Turnier konzentrieren. Viele hatten auch ihre Kinder dabei. Aber wenn man in Mexiko eine WM spielt und nebenan im Ort werden deine Kinder krank, dann bist du auch ständig da – und mit den Gedanken nicht bedingungslos bei der WM. Bei der EM in Italien war zum Beispiel unsere einzige Abwechslung, dass wir mal ins Restaurant gehen konnten. Das war alles. In meinem Buch hab' ich dann vorgeschlagen, warum man nicht mal Boris Becker einlädt und ein kleines Tennisturnier macht. Oder wie Felix Magath, der hat doch Schach gespielt mit diesem russischen Weltmeister....
Anatoli Karpow?
Genau! Heute machen sie solche Sachen: laden den Rosberg und den Schumacher ein, dürfen auch mal drei Tage nach Hause fahren – das kann man nicht mehr vergleichen mit früher. Wir waren ja sechs Wochen komplett weggesperrt. Das hat mit Fußball nix zu tun. Wenn man euch Journalisten sechs Wochen wegschließen würde, könnte man bestimmt auch die eine oder andere Geschichte über euch schreiben.