Toni Schumacher: "Klar, es war ein dummer Spruch"
Toni Schumacher, inzwischen 62, war von 1979 bis 1986 Torwart der deutschen Nationalmannschaft, bei den Weltmeisterschaften 1982 und 1986 spielte er jeweils im Halbfinale gegen Frankreich.
AZ: Herr Schumacher, die deutsche Mannschaft hat vor dem Halbfinale großes Verletzungspech zu beklagen, die Franzosen haben sich im Viertelfinale gegen Island warmgeschossen. Wer ist am Donnerstag Favorit?
TONI SCHUMACHER: Der guten Form der Franzosen kann man ein wichtiges Argument entgegenhalten: Sie haben ein Deutschland-Trauma, das ist so wie bei uns gegen Italien. Sie haben seit einer Ewigkeit nicht mehr bei einem großen Turnier gegen uns gewonnen.
Seit der WM 1958 in Schweden, damals gab es ein 6:3 für Frankreich. Dennoch scheint die deutsche Elf geschwächt nach den Ausfällen von Sami Khedira, Mario Gomez und Mats Hummels, der gelbgesperrt fehlt.
Ja, aber wenn wir das nicht kompensieren können, brauchen wir gar nicht erst anzutreten. Jogi Löw hat immer ein gutes Händchen mit seiner Aufstellung, ich bin Fan von ihm. Wir haben einen Kader, der das auffangen kann. Mein Bauchgefühl sagt: Wir gewinnen 2:1.
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Hoffnung macht Bastian Schweinsteiger, der am Mittwoch das Abschlusstraining absolviert hat und wohl spielen kann.
Training und Spiel ist etwas ganz anderes, aber Schweinsteiger wäre mit seiner Erfahrung sehr wichtig für das Spiel.
Apropos wichtig: Manuel Neuer spielt bislang ein herausragendes Turnier. Braucht die deutsche Mannschaft wieder so ein starkes Spiel von Neuer gegen Frankreich wie 2014 im WM-Viertelfinale?
Manu spielte eine wunderbare EM, er wird von den Gegnern mit enorm viel Respekt gesehen. Die wissen: Bei Neuer müssen wir genau in die Ecken zielen. Man hat es auch im Elfmeterschießen gegen Italien gemerkt: Wenn du erstmal 50 Meter zum Punkt läufst und dir dann durch den Kopf geht, dass du gleich gegen den besten Torhüter der Welt schießt, beeinflusst dich das.
Kommen wir zu Ihren persönlichen Erfahrungen gegen Frankreich. Und da geht es natürlich nicht ohne jene Szene im WM-Halbfinale 1982 in Sevilla und Ihr Foul an Patrick Battiston, der sich schwer verletzte. Können Sie verstehen, dass die Franzosen noch heute auf Revanche sinnen wegen Ihres Einsteigens damals?
Dieser Zusammenprall ist vor jedem Turnier ein großes Thema. Das gehört zu meinem Leben. Für mich war die Sache erledigt, als ich zu Battiston ins Krankenhaus gefahren bin, mich entschuldigt habe und er angenommen hat. Wir haben uns danach noch ein paar Mal gesehen, bei einem Hallenturnier zusammen gespielt. Ich glaube nicht, dass man die französischen Spieler von heute noch mit dieser Szene motivieren kann.
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Für die französischen Fußballfans sind Sie noch immer eine Reizfigur. Denken Sie sich manchmal, den Spruch mit den Jacketkronen, die sie Battiston nach dem Verlust zweier Zähne zahlen wollten, hätten Sie sich sparen können?
Wenn man in einem solchen Spiel, einem WM-Halbfinale auf dem Platz steht, gerade ein Elfmeterschießen gewonnen hat, nachdem man in der Verlängerung schon 1:3 zurücklag, dann ist man emotional total aufgewühlt. Damals durften die Journalisten ja noch auf den Platz laufen und so kam es zu diesem ungefilterten Spruch. Klar, es war ein dummer Spruch, aber es war nicht gehässig gemeint, sondern damals ein Ausdruck meiner Erleichterung. Ich war froh, dass nicht noch Schlimmeres passiert war als das mit den Zähnen. Leider war er es ja dann doch anders, als es mir direkt nach dem Spiel gesagt wurde.
Sportlich waren die Duelle mit Frankreich sehr erfolgreich für Sie. 1982 wurde das Halbfinale ebenso gewonnen wie 1986. Damals waren die Franzosen sogar leichter Favorit, am Ende gewann Deutschland 2:0.
Wir hatten im Viertelfinale Mexiko besiegt, den Gastgeber, das war ein komisches Gefühl, das tat mir fast ein bisschen leid. Und dann das Halbfinale gegen die Franzosen, die mit Platini und Co. wirklich eine super Truppe hatten. Aber wir haben ein gutes Spiel gemacht, das 2:0 von Rudi Völler habe ich mit einem langen Abwurf vorbereitet. Die filigranen Franzosen haben nicht gedacht, dass sie gegen uns verlieren könnten.
Sie sind heute Vizepräsident des 1. FC Köln. Wie stolz blickt man dort auf die Leistungen von Jonas Hector?
Wir sind superstolz auf ihn, wir freuen uns über jeden Nationalspieler vom FC. Es ist ja nicht nur sein Elfmeter gegen Italien: Jonas hat im vergangenen Jahr die meisten Minuten aller Nationalspieler absolviert, er ist eine feste Größe geworden. Und beim Elfmeter hat sich Jogi übrigens den Richtigen ausgewählt: Jonas ist eine kalte Schnauze.
Einige englische Klubs sollen an Hector interessiert sein. Spielt er auch kommende Saison beim FC?
Wir sind sehr froh, dass wir ihn haben. Es gibt derzeit keine Angebote für ihn.