Toni Schumacher im AZ-Interview: "Maradona? Magier, Genie, Ballzauberer"

AZ: Herr Schumacher, wie haben Sie als ehemaliger Kontrahent die Nachricht vom Tod von Fußball-Ikone Diego Maradona aufgenommen?
HARALD SCHUMACHER: Mit Bestürzung und. . . Trauer. Er ist zu früh von uns gegangen. Wenn man wie ich in einem ähnlichen Alter beziehungsweise ein paar Jährchen drüber ist, erschrickt man da schon. Jetzt kann er mit dem lieben Gott im Himmel ausmachen, wie das genau war 1986 als "die Hand Gottes" im Spiel war. Denn streng gesagt war es eine Schummelei, im Grunde Betrug. Zum Leidwesen der Engländer konnte das nicht nachgewiesen werden. Das sähe heute mit dem Videobeweis natürlich anders aus. Abgesehen davon: Diego Maradona war ein Magier und Genie auf dem Fußballplatz. Auf dieser Bühne konnte ihn zu meiner Zeit niemand besiegen. Die Fußballwelt wird ihn nicht vergessen.
Diego Maradona: Fußball gegen einen Mann im Alleingang
Sie auch nicht im Finale der angesprochenen WM 1986 in Mexiko. Mit der Nationalelf trafen Sie im Endspiel in Mexiko-Stadt auf die Argentinier mit Superstar Maradona, der wie kaum ein Spieler zuvor und danach eine solche Endrunde mit seiner Klasse geprägt hat.
Das stimmt. Damals gab es einen riesigen Hype um ihn, die ganze Welt hat darüber berichtet und gesprochen. Das Viertelfinale gegen England, das Halbfinale gegen Belgien - beide Spiele hat Maradona fast im Alleingang gewonnen. Vor dem Endspiel war uns klar: Wir spielen nicht nur gegen Argentinien, sondern vor allem auch gegen einen Mann: gegen Maradona, bei dem der Ball mit einer unsichtbaren Schnur am Fuß festgebunden scheint (lacht).

WM 1986: Lothar Matthäus als Maradonas Aufpasser
Teamchef Franz Beckenbauer hat sich für Lothar Matthäus als Bewacher von Maradona entschieden.
Mit seiner aggressiven Spielweise war Lothar als Manndecker im Mittelfeld prädestiniert für die Aufgabe, unsere perfekte Antwort auf Maradona, den Dreh- und Angelpunkt der Argentinier. Matthäus hat eine richtig gute Partie gemacht, wenngleich man natürlich einen Maradona nicht 90 Minuten aus dem Spiel nehmen kann.
Was dennoch beinahe gelungen wäre. . .
Ja, in der 84. Minute konnte Maradona dennoch aus dem Mittelkreis, selbst in Bedrängnis, diesen tödlichen Pass in den Lauf von Jorge Burruchaga spielen, der dann leider zum 3:2 für die Argentinier traf. Selbst Hans-Peter Briegel, einer unserer schnellsten Spieler, konnte ihn nicht mehr einholen und ich den Ball nicht halten. Es war lange ein Spiel auf Augenhöhe, nach unserem Ausgleichstreffer zum 2:2 nach dem 0:2-Rückstand haben wir einen großen taktischen Fehler gemacht und sofort euphorisiert auf das dritte Tor gespielt, mit südländischen Herzen. Dazu haben wir uns hinreißen lassen anstelle erst einmal mit dem 2:2 in die Verlängerung zu gehen, schließlich waren wir das konditionell stärkere Team. Denn die Argentinier wussten gar nicht wie ihnen geschieht: Was? Plötzlich 2:2? Sie standen in der eigenen Hälfte rum, waren total konsterniert.
Deutschland ohne Lothar gegen Argentinien ohne Diego
Wie sehen Sie die Manndeckung gegen Maradona aus heutiger Sicht?
Ich finde, wir haben damals in der Vorab-Analyse ein bisschen überreagiert. Denn im Grunde haben wir durch die Manndeckung zehn gegen zehn gespielt: wir ohne Lothar gegen Argentinien ohne Diego. Im Nachhinein eine Fehleinschätzung von uns allen, wir wurden eines Besseren belehrt. Ehrlicherweise möchte ich dazu sagen, dass ich im Finale auch nicht meinen besten Tag hatte.
Schumachers Trainings Vorbereitung gegen Maradona
Wie haben Sie sich mit Ihrem Torwartspiel auf das Duell mit Maradona vorbereitet?
Ich habe mir im autogenen Training immer wieder gesagt: Der darf gegen dich kein Tor machen! Der darf gegen dich kein Tor machen! Ich musste im Spiel total konzentriert bleiben und durfte ihn nicht aus den Augen verlieren, wenn er den Ball hatte - keine Sekunde! Also auch nicht die Handschuhe oder das Trikot kurz zurechtzupfen. Denn solche minimalen Unkonzentriertheiten hat er aus dem Augenwinkel erkannt, auch wenn er vor dem Strafraum quer zum Tor gelaufen ist. Dann hat er mit kurzer Drehung ansatzlos einen Lupfer angesetzt.
Wie komplett, wie perfekt war Maradona als Fußballer?
Er war alles in einer Person: Ein Ballzauberer und Supertechniker, ein Spielmacher und Stürmer, ein Vorbereiter und Torschütze. Auf dem Platz war er eher leise, nicht der große Kommunikator. Diego hat mit dem Ball gesprochen. Die Menschen haben Diego geliebt, ihm auch nach der Karriere alles verziehen. Und ich muss mit Blick auf die WM 1986 sagen: Zweiter hinter Maradona ist auch toll.