Tigers Blutgrätsche und ein Kuss für den Papst
Hier spricht Ex-Boxer Dariusz Michalczewski über die EM in seinem Heimatlands Polen, die Krawalle gegen Russland, seine Versuche als Fußballer und eine besondere Begegnung. Das EM-Gespräch (8)
AZ: Herr Michalczewski, ein Gespräch über Polen bei dieser EM kann leider nicht beginnen, ohne sich mit den Ausschreitungen beim Spiel Polens gegen Russland auseinanderzusetzen, bei denen polnische Hooligans sich mit russischen Chaoten Straßenschlachten lieferten.
DARIUSZ MICHALCZEWSKI: Als ich die Bilder gesehen habe, war ich traurig und wütend zugleich. Wir haben die einmalige Chance, uns der Welt von unserer besten Seite zu präsentieren, allen zu zeigen, dass wir nicht die prügelnden Chaoten sind, als die wir vor der EM gerne charakterisiert wurden. Und dann zeigen wir der Welt genau diese Fratze. Idiotie ist ein weltweiter Virus, der leider stets zum Ausbruch kommt. Ich hatte gehofft, dass auch der Dümmste kapiert, welche Chance diese EM für uns ist. Jetzt haben wir uns selbst geschadet. Dabei sind wir ein gastfreundliches Volk. Es ist in unserer Volksseele verankert, dass wir gut zu anderen sind. Wir sind vielleicht nicht immer gut zu uns selber, da zerfleischen wir uns manchmal fast selbst, aber zu anderen sind wir besser als zu uns selbst. Das werden wir unseren Gästen jetzt beweisen.
Sie waren als Boxer der erste Weltmeister Polens, galten als gefürchteter Kämpfer, wie war denn Dariusz Michalczewski als Fußballer so?
Ich verrate Ihnen mal eins: Als Kind hatte ich nur ein Ziel, ich wollte Fußball-Weltmeister werden. Aber ich war viel zu egoistisch. Wenn ich den Ball hatte, musste mir schon der Himmel auf den Kopf fallen, damit ich den Ball hergebe. Habe ich ihn verloren, da habe ich schon mal die Blutgrätsche ausgepackt. Ich war nicht der beste Mitspieler, nicht der angenehmste Gegenspieler.
Was trauen Sie denn der polnischen Nationalmannschaft bei dieser Heim-EM zu?
Vor der EM hat jeder gesagt, dass wir das schwächste Team sind. Aber es läuft gut. Wir brauchen jetzt nicht den Tiger im Tank, sondern im Herzen, dann können wir eine Runde weiterkommen.
Sie selber sind 1988 aus Polen geflohen, kehrten aber nach Ihrer Karriere 2005 wieder zurück. Wie sehr hat sich Ihre Heimat verändert?
Unglaublich. Wenn man sich die Siedlungen anschaut, wo ich aufgewachsen bin, das waren damals Slums. Jetzt haben wir Prachtstraßen, die Bauten erstrahlen in einem anderen Glanz, wir haben Blumen und Bäume. Das Grau ist weg. Aus den Städten, aus den Seelen.
Die zwei berühmtesten Polen der Neuzeit waren sicher Papst Johannes Paul und Lech Walesa, der Anführer der Gewerkschaft Solidarnosc, die ja die Öffnung gegenüber dem Westen erzwang.
Ich durfte die Hand des Papstes küssen, das war eine unglaubliche Ehre. Ich bin zwar ein Sünder, aber er hatte die Größe mich zu empfangen. Ich denke, er war einer der größten Menschen, der je gelebt hat. Er hat für das Zusammenwachsen von Ost und West mehr getan als irgendjemand sonst. Er hatte Wunden geschlossen, Seelen befriedet. Ein unglaublicher Mensch.
Und Walesa?
Ich kenne ihn sehr gut, wir gehen ins gleiche Schwimmbad. Er hat auch eines meiner Sportstudios eröffnet. Er ist ein Revoluzzer, der die Herzen erreicht. Er hat die Gabe, so zu sprechen, dass er alle Menschen erreicht. Egal, ob ungebildet oder Akademiker. Er spricht die Sprache der Herzen, der kann man sich nicht verschließen. Ohne ihn wäre Polen nicht dort, wo es ist.
Wie wichtig war in ihren Augen die Geste, der deutschen Nationalmannschaft, die die Holocaust-Gedenkstätte in Auschwitz besucht hat?
Es war eine gute Geste voller Symbolik. Mir selber ist sowas egal, aber es wurde in der polnischen Öffentlichkeit sehr positiv wahrgenommen, dass auch diese Generation die Gräuel des Weltkrieges nicht vergisst. Anzuerkennen, was war, die Verbundenheit mit den Opfern zu zeigen, war gut.
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