Thomas Schneider im AZ-Interview: "Belastung der DFB-Spieler ist extrem"

Thomas Schneider, der Assistenz-Coach von Joachim Löw, spricht mit der AZ exklusiv über die vielen Einsätze der Topspieler, die Wohlfühloase Nationalelf, Joshua Kimmich und Bastian Schweinsteiger.
Der 44-Jährige ist seit 2014 Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft von Bundestrainer Joachim Löw, zuvor war er Chefcoach des VfB Stuttgart.
AZ: Herr Schneider, fühlen Sie sich überbelastet?
Thomas Schneider: (lacht) Nein, auf keinen Fall. Ich bin total motiviert und liebe meinen Job.
Dafür gibt es die Diskussion, dass die Nationalspieler an der Belastungsgrenze angekommen sind. Zuletzt warnte Bundestrainer Joachim Löw davor, "das Rad nicht zu überdrehen". Wie sehen Sie das?
Es ist schon so, dass gerade Spieler aus den Top-Teams, die im Klub und der Nationalmannschaft auch international im Einsatz sind, wahnsinnig viele Spiele haben. Nationale Meisterschaft, Champions League, Länderspiele – da ist die Belastung extrem hoch, mental wie körperlich.
Gibt es zu viele Länderspiele?
Die Zahl der Länderspiele ist grundsätzlich über die Jahre hinweg gleich geblieben. Man kann sicher über die Sinnhaftigkeit einzelner Wettbewerbe diskutieren, wie beispielsweise den Confed Cup oder auch die Klub-WM in ihrer bestehenden Form. In einigen Ligen wie der Premier League gibt es keine Winterpause. Bedingt durch den globalen Wettbewerb der Ligen kommen große Klubs nicht mehr daran vorbei, im Rahmen der Auslands-Vermarktung Freundschaftsspiele zu bestreiten, die teilweise mit strapaziösen Reisen und Zeitumstellungen verbunden sind. Letztlich bin ich froh, dass ich kein Sportpolitiker bin und ich nicht darüber entscheiden muss. Wir nehmen bei der Nationalmannschaft die Gegebenheiten so an, wie sie sind. Wir wollen nicht lamentieren, sondern die Dinge bestmöglich managen und Lösungen finden.
Nach EM, Meisterschaft, Pokal und Champions League folgt der Confed-Cup in Russland. Zuletzt hat Löw angedeutet, Spieler, wie etwa Jérome Boateng, schonen zu wollen.
Der Bundestrainer hat generell gesagt, dass es uns mit Blick auf 2018 wichtig ist, beim Confed Cup denjenigen Spielern auch mal eine Pause zuzugestehen, die in den vergangenen Jahren sowohl beim DFB als auch in ihren Vereinen extrem belastet wurden, damit sie im Jahr darauf bei der WM ihr volles Leistungspotenzial abrufen können. Einzelne Namen hat er noch nicht genannt. Wir sehen das aber gleichzeitig als Chance. Denn das gibt uns die Möglichkeit, Spieler mitzunehmen, die dort wertvolle Erfahrungen sammeln und einen weiteren Schritt in ihrer persönlichen Entwicklung machen können.
Dazu könnten André Schürrle und Joshua Kimmich gehören, die nicht so oft in ihren Klubs zum Zuge kommen...
Es gibt immer wieder mal eine Diskrepanz zwischen dem, was Spieler in ihren Vereinen und bei uns zeigen. Uns freut sehr, dass sowohl André als auch Joshua ihre Nominierung absolut gerechtfertigt haben.
Schürrle hatte nach dem Spiel in Aserbaidschan die Stimmung in der Nationalmannschaft gelobt. Was genau läuft dort anders als in den Vereinen, dass Spieler regelrecht aufblühen?
Bei der Nationalmannschaft geht es sehr familiär zu. Wir sind eine verschworene Einheit. Nicht nur bei der Mannschaft, sondern auch beim Team hinter dem Team sind wir optimal aufgestellt. Jeder ordnet sich den gemeinsamen sportlichen Zielen unter, alles ist darauf ausgerichtet, dass die Spieler in jeder Hinsicht die bestmögliche Betreuung erhalten. Wahrscheinlich ist es aber auch einfacher, einen Spieler über eine Woche oder auch ein paar Wochen zu betreuen und sich dort voll zu fokussieren, als über ein ganzes Jahr hinweg, wie es eben bei den Vereinen der Fall ist.
"Kimmich bringt das Potenzial mit, sich bei Bayern zu behaupten"
Kimmich hat derzeit im Verein einen schweren Stand. Kann er ähnlich wie in der Nationalelf auch bei den Bayern Philipp Lahm beerben?
Auf welcher Position er im Verein gesehen wird, müssen die Verantwortlichen in München entscheiden. Joshua hat eine super EM gespielt, dies hat er auch in den Spielen beim FC Bayern bestätigt. Von daher ist es natürlich schade für ihn, dass er zuletzt nicht so viel Spielzeit bekommen hat. Ich bin überzeugt: Im nächsten Jahr wird er mehr Spielanteile erhalten. Er bringt auf jeden Fall das Potenzial mit, sich beim FC Bayern zu behaupten.
Ein Wort zu Ihrem Ex-Kapitän Bastian Schweinsteiger, der nach einer unbefriedigenden Zeit bei Manchester United zu Chicago Fire gewechselt ist. Der richtige Schritt?
So, wie ich ihn kenne, wird er sich das genau überlegt haben. Ich hätte mir gewünscht, dass er bei Manchester die Möglichkeit bekommt, das zu zeigen, was er drauf hat. Aber manchmal soll es nicht so sein. Von der Qualität hätte ich es ihm allemal zugetraut, sich durchzusetzen. Ich wünsche ihm, dass er aus seiner Zeit in den USA das Beste macht, dass er sich dort nochmal richtig reinhaut. Ich bin überzeugt, dass man in Chicago viel Freude an Basti haben wird und diese Station ihn selbst sehr bereichern wird.