Taktik statt Tore: WM noch kein Fußball-Spektakel
Johannesburg (dpa) - Erschreckend wenig Tore, erstaunlich wenig Fans: Südafrika ist ein freundlicher Gastgeber, doch ein rauschendes Fußball-Fest ist die WM-Premiere am Kap noch nicht. Nach dem ersten Auftritt aller 32 Mannschaften ist der ernüchternde Trend eindeutig.
Wie schon beim Sommermärchen 2006 heißt die Turnier-Devise «Safety First». Nur Deutschland sorgt für Spaß-Fußball und wird für seine Leistung gegen Australien von allen Seiten bewundert. «Die Deutschen sahen wirklich gut aus. Bis auf sie gab es bislang noch kein Team, das wirklich herausragt», sagte Englands Wayne Rooney.
Der Superstar von der Insel hat wie seine Artgenossen in Südafrika einen schweren Stand. Der Teamgedanke ist wichtiger als die Solo-Show der Individualisten. Lionel Messi, Cristiano Ronaldo und Samuel Eto'o - alle gingen bislang wie Rooney leer aus. Der Tor-Durchschnitt liegt konstant auf Negativrekord-Niveau. Nur 1,55 Treffer pro Spiel hat es in der 80-jährigen WM-Geschichte noch nie gegeben. Nur die deutsche Mannschaft produzierte beim 4:0 gegen Australien bisher mehr als zwei Tore.
«Wir befinden uns derzeit noch in der Anfangsphase des Turniers, daher spielen die Teams eher nach der Devise 'lieber das eigene Tor sichern, als Tore zu schießen'. Die goldene Regel lautet dahingehend einfach: Nicht mit einer Niederlage starten», sagte Holger Osieck. Der Weltmeister-Co-Trainer von Franz Beckenbauer 1990 beobachtet als technischer Experte der FIFA das Turnier. «In den ersten Spielen ist es allen Teams wichtig zu punkten», betonte Dänen-Coach Morten Olsen.
«Ich denke, dass alle Teams, die hier sind, effizient spielen müssen», sagte auch Brasiliens Trainer Dunga. Die Zauber-Kicker des Rekordweltmeisters haben den neuen internationalen Fußball-Kanon perfekt verinnerlicht. Strategischer Minimalismus wie beim 2:1 gegen Nordkorea bringt auch drei Punkte. «Das ist normal. Im ersten Spiel sind alle vorsichtiger. Das ändert sich, wenn mehr Partien gespielt sind», hofft Portugals Deco auf mehr Offensivgeist im Turnierverlauf.
Die FIFA sieht ihr Premiumprodukt trotz vieler langweiliger Spiele nicht in Gefahr. «Es ist zu früh, irgendwelche Schlüsse zu ziehen», lautet das Statement des Weltverbands. Doch Fußball-Experten können deutliche Erkenntnisse gewinnen. Noch nie wurde bei einer WM teamübergreifend so viel Wert auf kompakte Spielkultur gelegt. Das auch von Joachim Löw präferierte 4-2-3-1-System ist mächtig en vogue. Noch nie taten sich die Stürmer so schwer, Akzente zu setzen. Von den 25 Treffern gingen nur fünf Tore auf ein Angreifer-Konto. Die deutschen Spitzen Miroslav Klose und Cacau trafen je einmal. Kein Spieler traf bislang doppelt.
Auf der südlichen Halbkugel steht die Fußball-Welt gewissermaßen Kopf. Die Brasilianer werden zu Minimalisten. Die sonst kreativen Holländer spielen nicht schön, aber gewinnen. Und die DFB-Elf zaubert. «Ein guter Start für Deutschland. Ein großes Spiel, das beste, das ich bisher gesehen habe», twitterte auch Ronaldo aus Brasilien.
Fußball-Paradox liefern auch die Afrikaner auf dem eigenen Kontinent. Zwar konnte aus dem Sextett nur Ghana sein erstes Spiel gewinnen, doch die oft für ihre taktische Naivität gescholtenen Teams haben sich dem Weltniveau angepasst und - abgesehen von Algerien - plötzlich sogar Top-Torhüter.
Insgesamt ist die Fußball-Welt enger zusammengerückt. Berti Vogts' Prophezeiung von der größeren Breite in der Spitze ist Realität geworden - was ausgerechnet die Europameister der Jahre 2004 und 2008 bitter erfahren musste. Griechenland unterlag Südkorea, die stolzen Spanier ließen sich von der Schweiz überrumpeln.
Internationalen Standard erreichen auch Südafrikas lange gescholtene Organisatoren - trotz des Ordnerstreiks und kleinerer Transportprobleme. Nur die Fans strömen nicht so zahlreich wie vorab verkündet in die Stadien. Viele an Sponsoren und Organisationen verkaufte Tickets bleiben ungenutzt. Die Lücken auf den Rängen sind nicht zu übersehen. Doch die WM-Laune ist trotz Vuvuzela-Lärms heiter. «Wenn man die ersten Spielen gesehen hat, ist die Stimmung in den Stadien sehr gut, und die im Land hervorragend», sagte Bundestrainer Joachim Löw.