Superheld Balotelli: Italiens Hulk
Mit zwei Toren schießt der umstrittene Stürmer von Manchester City die Azzurri zum Sieg über Deutschland – dabei hatte Mario Balotelli bislang vor allem mit Skandalen auf sich aufmerksam gemacht.
Warschau - Und so stand er da. Mit diesen harten Muskelsträngen am nackten Oberkörpern, den geballten Fäusten, seinem herausfordernden Blick im ernsten Gesicht unter diesem zugegeben etwas lächerlich blond-gesträhnten Hahnenkamm. Der unglaubliche Hulk, wiedergeboren in der Realität des Warschauer Nationalstadions, in Gestalt von Mario Balotelli.
36 Minuten waren gespielt im zweiten Halbfinale der Europameisterschaft, und Deutschland war im Grunde schon ausgeschieden. Nach dem zweiten Treffer des Abends von Mad Mario, dem größten Versprechen des italienischen Fußballs der letzten Jahre, dem derzeit gleichzeitig interessantesten wie umstrittensten Spieler der Welt.
Gefühlte sieben Mal hatte Balotelli in diesem Turnier schon dieses Tor versucht: Den Ball nach einem langen, hohen Pass sachte annehmen, mit der Kugel am Fuß Richtung Tor sprinten und schließlich den Torhüter verladen. Nie hatte es geklappt. Ausgerechnet gegen Manuel Neuer, ausgerechnet im Halbfinale gegen Deutschland, passte alles. Balotelli gelang nach einem wunderbar getimten hohen Zuspiel von Riccardo Montolivo – dem Italo-Deutschen – dieser Knaller wie aus einem John-Wayne-Western perfekt, Neuer sah den Ball wahrscheinlich nicht mal richtig auf sein Tor kommen.
Schon das 1:0 nach 20 Minuten war auf das Konto Balotellis gegangen. Antonio Cassano, sein, nun ja, kongenialer und mindestens ebenso verrückter Sturmkollege, hatte an der Strafraumgrenze Mats Hummels mit zwei Powacklern verladen und den Ball scharf in die Mitte geflankt, wo Balotelli sich gegen Holger Badstuber durchsetzte und den Ball ins Tor köpfte.
Erst ein Tor hatte Balotelli vor dem Halbfinale bei der EM geschossen. Ein zwar schöner, aber recht wertloser Treffer per Seitfallzieher, in der Nachspielzeit gegen Irland. Beim anschließenden Torjubel musste ihm sein Teamkollege Leonardo Bonucci den Mund zuhalten, weil Balotelli mal wieder dabei war, irgendwelche Dummheiten anzustellen, womöglich sogar seinen Trainer zu beschimpfen, der ihn bei der Partie zunächst draußen gelassen hatte.
Überhaupt drehten sich die meisten Diskussionen um die Frage, wann der 21-Jährige denn endlich explodieren würde bei dem Turnier, wann er er eine seiner Aktionen bringen würde, die ihn in Schwierigkeiten bringen würde. Mehmet Scholl bezeichnete ihn in der ARD gestern als „Pflegefall“, Roberto Mancini, Balotellis Trainer bei Manchester City, nennt ihn einen „sehr speziellen Typ, der nur geliebt werden will“.
Und Italiens Fußball-Legende Giuseppe Bergomi sagte im Gespräch mit der AZ über den auf Sizilien geborenen Sohn ghanaischer Einwanderer: „Mario ist das wahre Juwel des Calcio. Aber er muss lernen, dass neben ihm noch zehn Andere Fußball spielen und er nicht immer ausrasten kann, wenn ihm etwas nicht gefällt.“ Gegen Deutschland explodierte Balotelli dann.
Allerdings rein sportlich. Nachdem sich der 21-Jährige im Viertelfinale warm geschossen hatte – gegen England konnte er keine seiner elf Chancen verwerten – brach er der deutschen Nationalmannschaft mit kühler Präzision das Genick – und ließ Italien träumen.