Stuttgart und die Meisterschaft: "Träumen erlaubt"

Dank Trainer Markus Babbel und Torjäger Mario Gomez kann der VfB Stuttgart sogar noch Meister werden.
STUTTGART Jens Lehmann war längst bei der Familie am Starnberger See, als die Kollegen in Stuttgart Schnitzel und Kartoffelsalat futterten. Rainer Widmayer, Assistent von Teamchef Markus Babbel, ließ die Leckereien aus dem Klubrestaurant kommen, um seinen Geburtstag mit einem Kabinenfest zu feiern. Die Feierlaune am Neckar ist derzeit ausgeprägt. Warum, zeigt ein Blick aufs Restprogramm der letzten sechs Spieltage. Die Schwaben haben es selbst in der Hand und können (fast) aus eigener Kraft Meister werden. Heimspiel gegen Wolfsburg und am letzten Spieltag bei den Bayern. Patzt Wolfsburg einmal, winkt ein Fernduell gegen Felix Magath oder ein Endspiel gegen Bayern. Oder es ist für die Bayern alles vorbei und der VfB braucht drei Punkte zum Titel.
Wie sehr die schwäbische Fußballgemeinde der Ehrgeiz gepackt hat, zeigt Gomez, bevor er auf Meisterfragen antwortet – er grinst spitzbübisch. „Ich habe in der Kabine nichts von einem neuen Saisonziel gehört“, sagte Gomez nach seinen drei Toren in Köln. „Wir genießen, dass es läuft und sehen, was am Ende raus kommt", so Gomez am Sonntag, bevor er heim zu den Eltern nach Unlingen am Fuße der schwäbischen Alb düste. Zuvor saß der Held eine halbe Stunde auf dem Fahrradergometer und strampelte den freien Tagen entgegen.
Nach dem 3:0 in Köln, dem 15. Saisonsieg, präsentierte der VfB seine neue Lockerheit. Weder das Wort „Meisterschaft“ ist per Dienstanweisung verboten, noch steht „Champions League“ auf dem Index. „Träumen“, meinte Babbel, „ist erlaubt“. Und Manager Horst Heldt hatte schon in Köln gesagt: „Na klar wollen wir in die Champions League. Das will doch jeder."
In Köln machte Gomez den Unterschied. Der aber ist nur einer der Gründe fürs schwäbische Fußballhoch. 733 Minuten traf Gomez im Nationalteam nicht mehr. Beim VfB schießt er trotzdem Saisontreffer 16, 17 und 18. Als müssten sie einem Patienten bei der Therapie helfen, spielten ihm die Kollegen die Bälle zu. Zweimal musste Gomez nur einschieben. „Der Zusammenhalt ist ähnlich wie 2007", meinte Roberto Hilpert. Da wurde der VfB Meister.
Neben Gomez gibt es einen weiteren Eckpfeiler: Markus Babbel. Geschickt hält der Ex-Bayer die Spannung im Kader hoch. Nach Köln nahm er 20 Spieler mit und sortierte dort zwei aus. „Wichtig ist", sagte er, „dass wir an uns glauben, die Mannschaft darf wissen, was sie kann, aber auch, dass wir keinen Millimeter nachlassen dürfen". Kurzum, man traut sich wieder was zu.
Babbel, der seinen Vertrag beim VfB bis 2010 verlängerte, könnte als Meistertrainer zum Trainerlehrgang in Köln antreten. Der „Trainerneuling" (ab Mai muss er die Lizenz nachholen) hat den VfB aus dem Tief geholt. Der „zweite Assistent" von Meistertrainer Armin Veh scheute sich nicht, Stars wie Jan Simak und Khalid Boulahrouz auf die Bank zu setzen, junge Talente aufzubieten – und Keeper Lehmann für Kritik an den Kollegen zu einer Geldstrafe zu verdonnern.
Oliver Trust