Spielführer mit Plattfüßen
Niersbach ist neuer DFB-Präsident – doch im Amt will der Beckenbauer-Freund andere Schwerpunkte setzen als Vorgänger Theo Zwanziger. Dessen Abschiedsrede gerät emotional
Frankfurt/Main - Artig haben die hübschen Hostessen im Eingangsbereich zum Steigenberger Airport Hotel rote, graue und grüne Stimmkärtchen ausgehändigt. Damit jeder der 260 Delegierten des außerordentlichen Bundestages auch wirklich bei der Kür zum elften Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sich enthalten (graue Karte) oder seine Ablehnung (rote Karte) ausdrücken können. Dabei waren zwei Utensilien am Frankfurter Flughafen komlett überflüssig: Wie nicht anders erwartet hat der einzige Kandidat Wolfgang Niersbach um 15.13 Uhr am Freitag in offener Abstimmung eine einstimmige Mehrheit in grüner Farbe hinter sich gebracht. Gleichzeitig schied Theo Zwanziger, von Innenminister Hans-Peter Friedrich mit dem Großen Bundesverdienstkreuz geehrt, vorzeitig aus einem liebgewonnenen Amt aus. „Es ist ein großer Moment für mich, das hätte ich nie für möglich gehalten”, erklärte Niersbach mit beinahe tränenerstickter Stimme. Seinen Posten als Generalsekretär übernimmt Helmut Sandrock.
Dass er bald 6,8 Millionen Mitglieder künftig anders geführt wird, machte Niersbach in seiner Antrittsrede deutlich, bei der nicht wie bei Zwanziger gesellschaftspolitische oder soziale Themen im Vordergrund standen, sondern beispielsweise die Nationalmannschaft. „Das ist der Fixstern, der leuchtet und hinter dem sich ein Fußball-Land vereinigt.” Der 61-Jährige charakterisierte sich selbst als „Mannschaftsspieler”, der sich „seit 24 Jahren mit Haut und Haaren dem DFB” verschrieben habe. Der frühere Journalisten erwähnte von seinen prägenden Persönlichkeiten nicht umsonst seinen Freund Franz Beckenbauer, dessen Kabinenrede im WM-Endspiel 1990 ihm immer im Gedächtnis sei. Nun beschied er: „Ich bin bereit, die Spielführerbinde überzustreifen.”
Die anwesenden Ehrenspielführer Uwe Seeler, Beckenbauer und Lothar Matthäus erhielten vom im hessischen Dreieich beheimateten Niersbach eine besondere Begrüßung wie die 54er-Weltmeister Horst Eckel und Hans Schäfer oder Bundestrainer Joachim Löw. Der Vater zweier Töchter agierte so klug, auch den Amateurvertretern verbale Kränze zu flechten. „Der Amateurfußball ist kein Schattengewächs im Licht der Bundesliga!” rief er aus und verwies darauf, dass jedes Wochenende ja 80000 Spiele unter dem DFB-Dach stattfinden.
Der künftig für eine monatliche Aufwandsentschädigung von 6000 Euro tätige Niersbach stellt sein Programm unter das Credo „Evolution statt Revolution”. Er wolle „konservativ, kreativ und innovativ” arbeiten, „das Haus des DFB ist in Ordnung, das Fundament ist stark.” Dass er selbst genug Stärke mitbringt, davon ist Bayern-Ikone Beckenbauer überzeugt: „Ich wünsche ihm alles Durchhaltevermögen dieser Welt”, beschied der „Kaiser”, der sich einen Seitenhieb auf das begrenzte fußballerische Vermögen seines Freundes im Foyer nicht verkneifen konnte. „Der Ball ist nicht sein Freund, weil er Plattfüße hat.”
Nicht auf leisen Sohlen räumte der „Menschenfänger Zwanziger” (Schatzmeister Horst R. Schmidt) seinen Posten. Und doch ging der Strippenzieher ohne Groll und vermied es, Kritiker wie Uli Hoeneß abzustrafen, die ihm seine achtjährige Amtszeit teilweise sichtlich erschwert hatten. Nur einmal bebte Zwanzigers Stimme, als er an seinen Kampf gegen Diskriminierung und seinen Einsatz für Integration erinnerte. „Fußball darf nie wegschauen. Wir sehen immer die Menschen, nicht die Hautfarbe, die Herkunft oder die sexuelle Orientierung.” Auch deshalb gab es donnernden Applaus für einen Mann, der mit einem Gutschein für ein Familienwochenende im niederbayrischen Kurort Bad Füssing bedacht wurde – und bei seiner Abschiedsrede den Tränen nahe war. Eine Videobotschaft von Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel wirkte vor diesem Hintergrund stimmig. Ebenso dieses Bonmot der CDU-Politikerin über ihren Parteifreund: „Mich hat ihre Standfestigkeit im Sturm manch öffentlicher Debatte überzeugt.”