Sommermärchen 2.0: Die DFB-Elf versetzt Deutschland in Frauenfußball-Fieber

Frankfurt - "Where did you come from, where did you go, where did you come from, Cotton Eye Joe?" Der Hit der Band Rednex war der Song des Sommers, zu dem die deutsche Frauen-Nationalmannschaft nach jedem Sieg tanzte und hüpfte. Und sie tanzten und hüpfen oft. Sehr oft! Zum letzten Mal auf dem Rathausbalkon in Frankfurt, als ihnen Tausende begeisterte Fans am Tag nach dem verlorenen EM-Finale zujubelten. Es war keine Niederlage. Es war ein Sieg für den Frauenfußball.
Frauenfußball: Bundesliga-Rekord!
Wer hätte im Frühjahr gedacht, dass die Ligaspiele der FC-Bayern-Frauen auf dem Campus nun fast immer ausverkauft sind? Dass sie ein Champions-League-Spiel vor über 20.000 Zuschauern gegen den FC Barcelona in der Allianz Arena spielen? Wer hätte gedacht, dass zur Saisoneröffnung im Frankfurter Waldstadion 22.300 Zuschauer kommen? Bundesliga-Rekord!
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, kurz MVT, hatte das gehofft - aber wohl nicht erwartet. Die EM in England sollte der Gradmesser werden. Alle wollten wissen, wo die Frauen-Nationalelf im Jahr 2022 steht. In einem Jahr, in dem die Themen Frauenrechte, Gleichberechtigung, Equal Pay größer denn je sind, schaute die Öffentlichkeit hin, ob das klappen könnte mit den Frauen und dem Fußball.
Starkes Team und stärkere Charaktere
Gleichzeitig wollte der DFB weg vom verstaubten Oldschool-Image der männerhaften Frauen, die in den Nullerjahren mit dem DFB erfolgreich gewesen waren. Birgit Prinz, Kerstin Garefrekes, Nadine Angerer waren von gestern - aber wer ist von heute?
Die jüngeren und älteren, starken und zarteren Frauen, die MVT mit nach England genommen hatte - sie wollten feiern und tanzen - wie "Cotton Eye Joe" zeigte - und sie wollten spielen. Mit neuer Leichtigkeit, Frische und Nachdenklichkeit zeigten sie: Die Fußballerin von heute muss keinem Klischee mehr entsprechen. Und dann entpuppte sich das Team nicht nur als Team, sondern als eine Reihe an charakterstarken Einzelspielerinnen. Sie seien eine "Inspiration in diesem Sommer" gewesen, sagte dann auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf.
Gewinnerinnen: Alexandra Popp und Giulia Gwinn
Hier Alexandra Popp - die Anführerin, die monatelang auch öffentlich zweifelte, ob sie es nach der x-ten schweren Knieverletzung zur EM schaffen würde. Sie erweckte aber dann das Biest in sich, hatte enormen Anteil am Erreichen des Finales. Die Französinnen können davon ein (trauriges) Lied singen. . . Da Giulia Gwinn - die Schöne, wie sie gar von ihren Teamkolleginnen genannt wird, die weiß, wie sie das Instagramspiel mit ihren 514.000 Followern beackern muss. Und trotzdem auf dem Platz ihre Leistung bringt.
Lena Oberdorf - die freche Junge, die lang in Jungsmannschaften spielte und zur besten Nachwuchsspielerin der EM gekürt wurde. Auch Marina Hegering - das Abwehrmonster - hat ihre Geschichte. Als Früh- und Spätberufene, die U20-Weltmeisterin hat aufgrund von viel Verletzungspech erst knapp über 20 Länderspiele absolviert.
"Wir sind miteinander gewachsen"
"Wir sind miteinander gewachsen", sagte Trainerin MVT und man glaubt ihr, wenn sie über die Höhen und Tiefen der Mannschaft spricht. 2019, bei ihrem ersten Turnier als Bundestrainerin, schied der DFB im Viertelfinale gegen Schweden aus. Diesen Sommer wollten sie es allen zeigen, und: Sie wollten Lust auf Fußball machen. Oberdorf nach dem Finale: "Wir haben gezeigt, wir können Fußball spielen. Es gibt da keinen Unterschied zwischen Männer- und Frauenfußball. Es ist ein Fußball."
Diesen einen Fußball merkte man, wenn man im Stadion war. Beim Länderspiel gegen Frankreich im Oktober war die Stimmung friedlich. Keine Hassplakate, Pyros oder Wutgesänge, stattdessen ein Fest, zu dem auch Familien eingeladen waren. Gerade für Kinder sind die Fußballerinnen Heldinnen. "Ich werde oft von Kids angesprochen, das finde ich cool. Dann wird einem bewusst, dass man für viele ein Vorbild ist", sagte Lea Schüller kürzlich in der AZ. Wie die FCB-Stürmerin sagt auch die Frankfurterin Laura Freigang: "Die positive Entwicklung merke ich jeden Tag."
Steigende Zuschauerzahlen, positiver Trend
Die Zeichen sprechen für eine langfristige Entwicklung zum Positiven: In allen Bundesliga-Stadien sind die Zuschauerzahlen in dieser Saison gestiegen. Der FC Barcelona schafft es, das Camp Nou komplett vollzumachen - mit einem Frauenspiel. Und das EM-Finale der Frauen schauten mehr Deutsche vor dem TV als das letzte WM-Gruppenspiel der Männer.
Dass sie "nur" Vize-Europameisterinnen wurden, trübte die Stimmung des Teams für einen Abend - aber nicht die der Fans. Sie feierten Popp, Hegering, Gwinn, Magull und ihre Mitspielerinnen am Tag nach dem Finale vor 89.000 Zuschauern im Wembley-Stadion auf dem Frankfurter Römer.
Und da tanzten sie wieder: den "Cotton Eye Joe" - wie in der Kabine nach den letzten Spielen.