Interview

Severin Freund über die Heim-EM: "Glaube nicht, dass es ein zweites Sommermärchen wird"

Ex-Skispringer Severin Freund spricht mit der AZ über die bevorstehende Heim-EM, die Euphorie in Deutschland und die Chancen des DFB-Teams.
von  Thomas Becker
Fans des DFB feuern die deutsche Nationalmannschaft an.
Fans des DFB feuern die deutsche Nationalmannschaft an. © IMAGO / Moritz Müller

München - Seit 2015 engagiert sich Ex-Skispringer Severin Freund, mittlerweile zweifacher Familienvater, in der Organisation "Right to play". Im Interview mit der AZ zum ersten International Day of Play spricht er über die Spiele seiner Jugend und die seiner Kinder sowie über seine Vorfreude auf die bevorstehende Fußball-EM. 

AZ: Herr Freund, am Dienstag feiert die von Ihnen seit neun Jahren unterstützte Kinderhilfsorganisation Right To Play den ersten UN Internationalen Day of Play und fordert mehr Investitionen in spielbasierte Lernmethoden. Spielen ist gerade in der heutigen Zeit besonders entscheidend für die persönliche Entwicklung und mentale Gesundheit von Kindern. Was spielen Sie gerade so? Lego mit den Kindern?
SEVERIN FREUND: Ganz unterschiedlich. Mit der Sechsjährigen spiele ich sehr viel draußen, vor allem Bewegungsspiele, weil die einen großen Bewegungsdrang hat. Werfen hat sie noch nicht so drin, da darf sie mit Blick auf die Schule noch ein bissl Hand-Koordination üben. Mit dem Kleinen, der bald ein Jahr alt wird, ist es noch eine andere Art von spielen, eher noch das Entdecker-Spiel. 

Wie war das bei Ihnen früher: Was waren Ihre ersten Spiele als Kind? Man kommt ja nicht als Skispringer auf die Welt.
Ich hatte das große Glück so aufzuwachsen, dass ich in den Garten oder vor die Haustür gehen und komplett frei spielen konnte. Und ich hatte auch die Leute dazu: etwas ältere Nachbarn, die mich mitgezogen haben. Im Sommer natürlich zum Großteil Fußball, aber auch ganz viel Fangen und Verstecken. Das ist mir noch sehr präsent. Das hat mich auch zum Skispringen gebracht: Wir haben uns im Winter die Schanzen selbst gebaut, und irgendwann bin ich halt mal zum Training mitgegangen. Zurückblickend war diese Jugend ein ganz schönes Privileg. Auch deshalb sind wir nun mit den Kindern von München raus aufs Land gezogen, in die Nähe von Landshut. Um ein paar hundert Meter bin ich wieder Niederbayer geworden.

Severin Freund vermisst den Leistungssport nicht

Glückwunsch! Da ist der nächste Sportverein bestimmt nicht weit.
Die Große ist beim Kinderturnen, im Ballett und im Kinder-Yoga – weil das die Mama macht. Der Kleine darf noch zu Hause spielen – und in der Krabbelgruppe.

Waren Sie als Kind in einem Verein?
Ich habe alles Mögliche ausprobiert, war ein Mal beim Fußballtraining, relativ lang beim Volleyball, und dann lange parallel bei Langlauf, Skispringen und Nordischer Kombination, bis sich dann das Skispringen herauskristallisiert hat.

Vor zwei Jahren haben Sie Ihre aktive Karriere beendet – vermissen Sie den Leistungssport oder sind Sie ganz froh, mal was ganz Anderes machen zu können?
Ich muss gestehen, dass ich es gar nicht vermisse. Ich freue mich sehr, wenn ich im Winter als TV-Experte dabei sein kann, die Jungs sehe und generell mit dem Sport in Kontakt bleiben kann, aber ich bin ganz froh, das aktive Kapitel beendet zu haben. Nach all den Verletzungen fiel es mir schon relativ leicht aufzuhören. Wenn man nun die andere Seite mit Viel-bei-der-Familie-Sein kennenlernt, merkt man schon, dass man da ansonsten sehr viel verpassen würde.

Wie treiben Sie jetzt Sport? Ist da jetzt auch mal so was Unvernünftiges wie ein Fußballkick drin?
Ich geh‘ Radlfahren, spiele Tennis und mache zuhause auch allgemeines Training. Aber alles nur noch zum Spaß.

FC Bayern: Severin Freund kann "Dinge nicht zu 100 Prozent nachvollziehen"

Apropos: Wie wird eigentlich Ihre berufliche Zukunft aussehen? Gibt‘s Pläne, Ideen?
Zwischenzeitlich habe ich im Nachwuchsbereich ein bissl was für den DSV gemacht. Das war sehr gut, hat Spaß gemacht, hat auch was gebracht, nicht nur mir. Aber das war quasi ein abgeschlossenes Projekt, das erst mal nicht weitergeht, was vollkommen okay ist. Der Grundgedanke war, solange die Kinder noch so klein sind, diese Zeit ausgiebig zu genießen. Schon während der Karriere habe ich mir immer gesagt: Wenn ich aufhöre, will ich mir selber die Zeit geben, meinen Sport richtig zu verarbeiten – und mich nicht gleich ins Nächste zu stürzen, um nach zwei Jahren festzustellen: Da wäre mehr Zeit gut gewesen. Im Winter bin ich als TV-Experte unterwegs, und zugleich arbeite ich vor, um auch anderen Leuten von meinen Erfahrungen im Sport, die man auch auf andere Bereiche umlegen kann, erzählen zu können. Solange ich nicht den Impuls habe, die Füße nicht mehr stillhalten zu können oder meine Frau sagt ‚Jetzt musst du aber mal schauen, dass du aus dem Knick kommst‘, bin ich ganz froh, dass es sich gut anfühlt, so wie es jetzt ist. 

Wie sehr werden Sie bei der Heim-EM der Fußballer mitfiebern? Haben Sie einen Lieblingsklub?
Ich bin FC Bayern-sozialisiert, war mit sechs zum ersten Mal im Stadion, habe da sehr viele schöne Erinnerungen. In den letzten Jahren sind beim FC Bayern allerdings ein paar Dinge passiert, die ich nicht zu 100 Prozent nachvollziehen kann. Aber man geht mit dem Verein durch gute und auch nicht so gute Zeiten…

Severin Freund beim Skiflug Weltcup in Oberstdorf am 20.3.2022.
Severin Freund beim Skiflug Weltcup in Oberstdorf am 20.3.2022. © IMAGO/Nordphoto

Severin Freund hofft auf den Fußball als "verbindendes Momentum"

...da könnten wir jetzt wahrscheinlich drei Stunden lang in die Tiefe gehen…
...aber auf die EM freue ich mich natürlich sehr. Ein Großereignis im eigenen Land! Habe ich selber bei der WM 2021 in Oberstdorf erleben dürfen, damals leider unter Corona-Bedingungen – und trotzdem war es für uns eine Riesen-Sache. Da freut es mich vor allem für die Spieler, die da auf dem Platz stehen dürfen – weil es einfach eine einmalige Erfahrung ist. Die hoffentlich auch viele Leute in Deutschland mitreißen wird. Ich glaube nicht, dass es ein zweites Sommermärchen wird. Das wird gerade schon sehr stilisiert. Das sollte es vielleicht auch gar nicht sein, weil es eine andere Zeit ist, und weil es so ausgelassen wie es damals war, gar nicht in die Zeit passen würde. Aber ich hoffe schon, dass der Fußball irgendwie ein verbindendes Momentum sein kann. 

Wie ist Ihre Erinnerung an die Heim-WM 2006?
Ich war damals auf der Schule in Berchtesgaden, habe das Halbfinale gegen Italien mit ein paar Freunden in Salzburg angeschaut – da waren wir die einzigen, die zu Deutschland gehalten haben. Rest-Salzburg hat Italien die Daumen gedrückt. Das war auf jeden Fall eine sehr spannende Stimmung. 

Severin Freund hofft auf den Halbfinal-Einzug des DFB-Teams

Haben Sie nun Tickets für die EURO, oder schauen Sie lieber daheim?
Wenn sich irgendwie die Chance ergibt: ja. Aber momentan ist die Zeit daheim mit den Kindern schon sehr gut genutzt. Und meiner Großen wäre das alles noch zu laut und zu viel. Dann lieber mit ein paar Freuden daheim!

Was trauen Sie dem deutschen Team zu?
Ich glaube, dass sehr viel vom Einstieg abhängen wird. Das erste Spiel wird viel mit der Stimmung im Land machen. Ich kenne das ja selber von Großereignissen: Der erste Schritt, den du machst, diese Stimmung, die dann aufkommt: Das bewirkt sehr viel. Wenn das aber nicht so grandios läuft und du gegen den Widerstand arbeiten musst: Das ist eine Herkulesaufgabe, ganz schwierig. Ich glaube trotzdem, dass wir eine Mannschaft sehen werden, die mehr Spaß verbreitet als die bei den letzten Großereignissen. Der geheime Wunsch wäre jedenfalls: Halbfinale.

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