Schwester, Killer, Heldin

Hier erzählt Europameisterin Nadine Angerer, wie sie im Finale zwei Elfmeter hielt und warum sie schon früh die Kolleginnen zusammenstauchte, wie sie sechs Kilo abnahm und was sie im Urlaub vorhat.
von  Frank Hellmann
Da ist das Ding: Torhüterin Nadine Angerer, die im Spiel zwei Elfmeter gehalten hatte, mit dem EM-Pokal auf dem Balkon des Frankfurter Römer. Foto: Christof Koepsel
Da ist das Ding: Torhüterin Nadine Angerer, die im Spiel zwei Elfmeter gehalten hatte, mit dem EM-Pokal auf dem Balkon des Frankfurter Römer. Foto: Christof Koepsel

AZ: Frau Angerer, erzählen Sie doch zuerst mal, wie nach dem EM-Finale die Feier im Hotel in Solna ablief.

NADINE ANGERER: Wir waren die Nacht zusammen haben getanzt, getrunken, gefeiert. Feiern kann diese Mannschaft auch: Die Feuertaufe hat sie bestanden. Wir sind nicht mehr im Kindergarten (lacht).

Sind Sie so etwas wie die große Schwester für ihre Mitspielerinnen?

Das trifft es tatsächlich. Von der Mutter hat man immer die Vorstellung, dass sie Regeln vorgibt und streng ist – das bin ich gar nicht. Mein Regiment besteht nicht darin, dass ich etwas vorgebe und die anderen folgen mir. Die Jüngeren müssen ihren eigenen Weg gehen. Man muss sie laufen lassen und nur ein Machtwort sprechen, wenn es nicht läuft.

Das haben Sie ja auch getan: Was genau ist vor dem Viertelfinale gegen Italien passiert, als die deutsche Team auch wirklich als Gemeinschaft auftrat?

Nach der Vorrunde war ich nicht mehr die nette Schwester. Das war ja auch angebracht. In der Situation wusste ich, was in der Mannschaft steckt, aber sie ruft es nicht ab. Da wurde ich total sauer. Wir haben uns dann ohne Trainerin zusammengesetzt. Wir wollten nicht versagen wie bei der WM 2011.

Sie konnten als gutes Vorbild vorangehen: Die Bundestrainerin hat ja verraten, dass Sie sechs Kilo für die EM abgenommen haben…

…oh Gott, das wieder. Ich war ja nicht dick vorher, aber ich habe einfach mein Training komplett umgestellt. Eigentlich ganz lustig: Vor der WM 2007 habe ich die Torwarttechnik total verändert, jetzt habe ich gemerkt, dass mein Training nicht optimal ist, und ich mehr aus mir herausholen kann.

Wie denn?

Im athletischen Bereich. Crossfit heißt die Methode. Jede Übung beansprucht ganzheitlich die Muskulatur, möglichst den ganzen Körper. Ich habe dadurch meine besten Ausdauerwerte, meine besten Sprintwerte, meine beste Sprungkraft aller Zeiten bekommen. Ich habe das in Extraschichten gemacht.

Im Fitnessstudio?

Ich hasse Fitnessstudios! Ich habe viel alleine draußen trainiert. Ich habe mir die Materialien – Sprungseile und Taue, Kettlebells (Kugelhanteln, Anm. d. Red) oder Autoreifen - auch nach Fuerteventura schiffen lassen, damit ich vor der EM auch dort arbeiten kann. Ich war viel am Strand und in der Natur und habe echt hart gearbeitet. Diese Art von Training ist für jeden etwas: von der Hausfrau bis zum Manager. Ich möchte das auch anderen Leuten beibringen.

Ihr Torwarttrainer Michael Fuchs hat nach dem Finale verraten, Sie seien durch Ihre Verletzung im Vorfeld zeitweise wie ein Tiger im Käfig gewesen.

Das stimmt. Ich war das erste Mal in meiner Karriere verletzt und ich habe mich in dieser Phase auch nicht wohlgefühlt. Ich funktioniere aber so, dass ich nur Leistung bringe, wenn ich mich wohlfühle.

Sie hatten der Bundestrainerin dann im Februar eine SMS geschrieben, dass ein Dutzend Pfunde schon gepurzelt seien. So hat es Silvia Neid verraten.

Ich stand nicht täglich auf der Waage. Aber ich war erstaunt, wie schnell das Training bei mir angeschlagen hat.

Haben Sie jetzt bei den beiden Elfmetern im Finale eigentlich an die WM 2007 gedacht, als Sie den Elfmeter der Brasilianerin Marta gehalten haben?

Nein, überhaupt nicht. Es gab kein Rezept, das war einfach Instinkt. Ich war in diesem Moment einfach sauer. Die Schiedsrichterin hat echt nicht gut gepfiffen, und deswegen wollte ich kein Spiel verlieren. Und dann sollte ich vor dem ersten Elfmeter noch das Handtuch aus dem Tor nehmen. Vor dem zweiten habe ich ihr dann gesagt, sie soll mich endlich in Ruhe lassen.

Auf Deutsch?

Auf Englisch.

Sie hätten Rot kriegen können.

Das hätte sie sich nicht getraut. Ich wäre auch nicht vom Platz gegangen! Die hat mich echt aufgeregt. Irgendwann ist auch mal Schluss. Aber egal jetzt.

Beim Schuss vom Solveig Gulbrandsen sind Sie ganz lange stehen geblieben. Warum?

Weil ich mir mit unserem Torwarttrainer Michael Fuchs noch am Morgen des Finales die Elfmeter der Norwegerinnen aus dem Halbfinale angeschaut habe. Er meinte, dass sie lange auf die Torhüterin schaut und hat mir gesagt, ich soll lange stehen bleiben.

Nach der WM 2007 sind Sie zur öffentlichen Person geworden. Einladungen in Talkshows, Interview, PR-Auftritte. Irgendwann wurde Ihnen das zu viel...

Damals hatte ich keine Ahnung, was auf mich zukommt. Ich weiß die Dinge jetzt besser einzuschätzen. Man kann bei einer Talkshow ja auch Dinge vermitteln, die einem wichtig sind.

Ihr Leben geht bewegt weiter: Im September folgt das Engagement in der australischen W-League bei Brisbane Roar, dann geht es in die amerikanischen Profiliga NWSL. Dazu eine Wohnung in Frankfurt, ein Haus auf Fuerteventura. Hört sich nach einem abenteuerlichen Leben an.

Das ist perfekt. Ich weiß, dass das alles kein Nachteil für mich wird. Ich bekomme neue Mitspielerinnen, sammle Erfahrungen in neuen Ligen. Das ist eine Riesenmotivation.

Aber erstmal geht es in den Urlaub, oder?

Ja, ich fange in Frankfurt an, dann geht es nach Berlin und dann open Ticket durch die ganze Welt. Ich habe sieben Wochen frei. Ich kann aber versprechen, dass ich keine sechs Kilo zunehme (lacht).

 

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