"Schweinsteiger ist der wildeste Kerl"

Der Autor der Kult-Kinderbücher ist seit seiner eigenen Jugend Bayern-Fan. Hier erklärt er, warum der Fußball ein guter Ratgeber für die Kids ist – und Angst und Schwächen nicht schaden.
Matthias Kerber |
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Joachim Masannek hat den Draht zum jungen Leser.
AZ Joachim Masannek hat den Draht zum jungen Leser.

Der Autor der Kult-Kinderbücher ist seit seiner eigenen Jugend Bayern-Fan. Hier erklärt er, warum der Fußball ein guter Ratgeber für die Kids ist – und Angst und Schwächen nicht schaden

AZ: Herr Masannek, der Schlachtruf der Fußballmannschaft „Wilden Kerle” in Ihren Büchern lautet ja: „Alles ist gut, solange du wild bist!” Ist die deutsche Nationalmannschaft wild genug für diese EM?

JOACHIM MASANNEK: Auf jeden Fall! Ich finde, dass unsere Mannschaft sehr viele tolle, junge Spieler in ihren Reihen hat. Mich erinnert diese Mannschaft sehr an die an die Stars von 1972 und ’74.

Die goldene Generation.

Das war die Zeit, als ich aufgewachsen bin und die Spieler waren meine Helden. Ich denke, wir haben die beste deutsche Mannschaft seit damals. Dass so viele Spieler von Bayern und Dortmund dabei sind, erinnert mich an die damalige Blockbildung aus Bayern-Spielern, Gladbachern und Kölnern.

Wer war Ihr größter Held?

Ich bin ja im Ruhrpott groß geworden, aber das ich als Fußballer immer im Tor gestanden bin, war mein größter Held der Maier Sepp. Seinetwegen bin ich nicht Schalke- oder Dortmund-Fan geworden, sondern Bayern-Anhänger Ich muss auch sagen, ich war sehr wütend auf Jürgen Klinsmann, als er Sepp Maier als Torwarttrainer der Nationalmannschaft abgesägt hat. Als Klinsmann dann Oliver Kahn für die WM 2006 auch noch aus dem Tor nahm, hätte mir das fast alle Freude an der WM genommen. Ich finde, dass Joachim Löw das alles besser und stilvoller macht.

Sie haben Germanistik und Philosophie studiert, daher dürften Sie sich sehr bewusst für das Adjektiv „wild” als Titel entschieden haben. Was bedeutet „wild” in Ihren Gedanken konkret?

Wild zu sein, heißt: zu dem zu stehen, was man tut. Man hat Verantwortung zu übernehmen und damit umzugehen. Fußball ist dafür ein ganz besonders guter Lehrmeister. Jedes Foul, auch wenn es unabsichtlich ist, hat Konsequenzen. Jedes Handeln hat Folgen, genauso wie Nichthandeln. Und zu seinen Aktionen zu stehen, das heißt wild zu sein.

Wer ist für Sie denn wildeste Kerl unter den Deutschen Fußballern, der König der wilden Kerle sozusagen?

Schweinsteiger. Er hat ist der wildeste Kerl, er hat die innere Größe dafür.

Während der EM werden sich wieder Abertausende als „wilde Kerle” in einem anderen Sinne vor dem Fernseher oder im Stadion gerieren. Wie sehen Sie diese Übertragung der eigenen Gefühle auf ein Massen-Ereignis?

Das gab es schon beim Wunder von Bern. Auch 1954 waren die Menschen gebannt dabei. Man muss den Menschen einen Halt geben, und ich finde, dass die Vereine das sehr gut machen, in dem sie immer mehr auf eigene junge Spieler setzen. Dadurch ist es leichter für den Münchner mit München verbunden zu sein, für den Dortmunder mit Dortmund. Diese Identifikation ist heute ganz wichtig, sie macht Menschen Mut in einer Zeit der fortschreitenden Globalisierung, die ja zu einer immer geringeren Verwurzelung geführt hat.

Ist die Welt des Fußballs mit seinen klaren Regeln der perfekte Rahmen für Erziehung?

In den letzten Jahren ist die Sehnsucht nach einer Familie bei den Kindern immer größer geworden. Das ist eine Reaktion auf die Realitäten der Patchwork-Familien, der alleinerziehenden Eltern.
Die Kinder suchen dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, das aber auch das Individuum stärkt. Das kann man in einem Teamsport wie Fußball teilweise finden. Kinder brauchen Grenzen, damit sie sich ausloten, damit sie wachsen können. Nur wer Grenzen erkennt und erlebt, kann stark werden. Nehmen Sie Bastian Schweinsteiger...

...der im Champions-League-Finale den entscheidenden Elfmeter verschossen hat.

Ja, einige sehen das als Scheitern, aber das ist es nicht. Er hat keinen Fehler gemacht, er hat Verantwortung übernommen. Er hat sich getraut in einem Moment, in den sich andere nicht trauten. Er wird durch diese Situation noch viel größer werden. Ich sehe das ganz anders als etwa im Falle Arjen Robben.

Der in der regulären Spielzeit einen Elfer verballerte.

Bei ihm war das Ausdruck von Hochmut, Selbstüberschätzung und Überheblichkeit. Schweinsteiger wollte nicht die Lorbeeren, er war hat Verantwortung übernommen.

Schweinsteiger hat, als er antrat, Angst überwunden. Die vorherrschende Thematik in Ihren Büchern ist ja genau das.

Die Wilden Kerle sagen ja: Wer heimlich Angst hat, ist feige. Man muss auch Angst haben, denn es gibt auch gute Ängste. Genauso, wie es gute Schwächen gibt. Wichtig ist, wie man damit umgeht, was man daraus lernt. So wie eben Schweinsteiger.

Kinder haben nur ein Ziel: möglichst schnell erwachsen zu werden. Die Erwachsenen wiederum jagen dann dem Götzen der ewigen Jugend nach.

Die Einzigen, die erwachsen sein wollen, sind die Kinder. Die Kindheit wird dann von den Erwachsenen romantisiert. Meine Tochter ist jetzt ein Jahr alt, man merkt, sie will unbedingt erwachsen werden. Das bedeutet für sie, unabhängig zu sein, Tabus brechen zu dürfen. Die Erwachsenen wollen dafür nie altern. Dabei ist das Älterwerden schön, man wird ruhiger, weiser. Das hat Würde.
Wer aber als Hundertjähriger noch glaubt, wie ein 18-jähriger sein zu müssen, wird schnell zur Lachnummer. Ich kann nur sagen: Älterwerden ist klasse.

Wie sehr müssen Fußballer auch Vorbilder sein?

Es ist toll, wenn sie es sind. Aber ich halte es für problematisch, von Kerlen, die selber gerade mal 20 Jahre alt sind zu erwarten, dass sie Vorbilder sein müssen. Ich weiß nicht, ob es fair ist, ihnen das auch noch aufzubürden.

Was können Erwachsene denn von Kindern lernen?

Vor allem Neugier. Und Offenheit. Das Aufnehmen von Situationen, ohne sie zu werten. Dieses Vorurteilsfreiheit, diese Neugier, diese Offenheit ist eigentlich Grundvoraussetzung für Freiheit. Freiheit nach der wir alle streben.

Wie wichtig ist, dass es die Wilden Kerle als Fußball-Klub, in dem Ihre Söhne spielen, ja wirklich gibt?

Das ist extrem wichtig. Ich bin etwa mit Winnetou groß geworden. Als ich erfahren habe, dass es den nicht gab, war dies ein Schock für mich als Kind, das hat mich in eine Krise gestürzt. Das fühlte sich fast wie Verrat an. Für Kinder ist die Fantasie der Ersatz für Logik, so lernen sie, so werden sie mit Dingen fertig. Wenn sie Jack Sparrow sehen, dann ist das für sie Jack Sparrow – und nicht Johnny Depp, der diese Figur spielt. Das wollen sie gar nicht hören, denn das passt da nicht rein. Deswegen denke ich, war es immer wichtig, dass die Wilden Kerle real waren, dass sie und ihre Probleme existierten.

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