"Schreibt man als Kind anderen ins Freunde-Buch": Kimmich über den erfüllten Traum und seine Pläne

Als 132. Kapitän der DFB-Elf steht Joshua Kimmich in einer Reihe mit den Großen des deutschen Fußballs. Ehrgeiz und Aura prädestinieren den Bayern-Star für diese Rolle. Sein Vermächtnis hat er nun selbst in der Hand.
von  Patrick Strasser
Neuer Kapitän der deutschen Nationalmannschaft: Joshua Kimmich
Neuer Kapitän der deutschen Nationalmannschaft: Joshua Kimmich © IMAGO / Beautiful Sports

Herzogenaurach – Etwas kürzertreten, kann nicht verkehrt sein. Wie Aleksandar Pavlovic durfte auch Joshua Kimmich am Dienstagvormittag beim ersten Training der Nationalmannschaft seit dem EM-Aus Anfang Juli vorzeitig zuschauen. Belastungssteuerung. Die Bayern hatten ja am Sonntagabend den SC Freiburg (2:0) besiegt, also war regeneratives Training angesagt. Jamal Musiala, der Dritte der klitzekleinen Bayern-Fraktion, absolvierte nur die Aufwärmübungen.

Spannender könnte es in den Tagen von Herzogenaurach vor dem Beginn der Nations-League-Gruppenphase mit dem Duell gegen Ungarn in Düsseldorf (Samstag, 20.45 Uhr, ZDF) abseits des Platzes werden, im kuscheligen "Homeground".

Auf dem Gelände hatte Kimmich während der Heim-EM einen Baum gepflanzt. Wenn der erstmals berufene Mittelfeldspieler Angelo Stiller, der passenderweise einen Song der Sportfreunde ("54, 74, 2010") beim Abendessen performen sollte, dran ist, könnte auch Kimmichs Stunde schlagen. Als Sänger. Zum Einstand seiner Ära als neuer Nationalelf-Kapitän. "Hoffentlich muss ich nicht singen", sagte der 29-Jährige, der kürzlich mit seiner Frau Lina bei einem der Adele-Konzerte war, und fügte hinzu: "Da zahle ich lieber ein Abendessen." Teurer Spaß – aber ohne Scham-Faktor.

Kimmich über seine Kapitäns-Rolle: "Das soll keine One-Man-Show sein"

Bundestrainer Julian Nagelsmann hat den Bayern-Profi nun mit der Ernennung zum Nachfolger des zurückgetretenen Ilkay Gündogan noch mehr ins Rampenlicht gestellt. "Als kleines Kind schreibt man das anderen ins Freunde-Buch, Nationalspieler werden zu wollen. Das ist aber unendlich weit weg", erzählte Kimmich am Dienstagmittag. Und Kapitän? Das höchste Amt überhaupt, das man im Staate Fußball als Aktiver innehaben kann? In einer Reihe mit Fritz Walter, Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus, Philipp Lahm und vielen mehr. Joshua, CXXXII. - der 132. Kapitän der deutschen Nationalmannschaft.

"Stolz" sei er, natürlich. Weil es etwas "ganz Besonderes" sei. Er wolle "das Vertrauen des Trainerteams zurückzahlen".

Aber wie? Wofür er nun als Boss stehe und wofür für was er einstehe, wurde er während der Solo-Pressekoferenz gefragt. Verlegen, aber ehrlich antwortete er: "Gute Frage." Der gebürtige Rottweiler (Baden-Württemberg) betonte: "Das soll keine One-Man-Show sein. Wir haben ein starkes Trio mit Kai Havertz und Antonio Rüdiger (den neuen Stellvertretern, d. Red.). Wir brauchen viele Jungs, die Verantwortung übernehmen."

Nagelsmann über Kimmich: "Josh erfüllt genau das, was wir für dieses Amt brauchen"

Kimmich, dessen Ehrgeiz und Disziplin ihn dahin gebracht haben, wo er nun ist, bevorzugt eine flache Hierarchie. Ein lautstarker Motivator, aber nicht im Kasernenton.

"Josh erfüllt genau das, was wir für dieses Amt brauchen", sagte Nagelsmann am Montag und ging dann ins Detail von Kimmichs Persönlichkeitsprofil: "Josh scheut sich nicht, eine Meinung zu äußern, die man selbst nicht hat. Dadurch entwickeln sich gute und interessante Gespräche. Du erhältst nicht nur ein ‚Ja und Amen'. Wenn Josh etwas anders sieht, dann spricht er das offen, ehrlich und direkt an. Das schätze ich sehr an ihm."

Die Impf-Debatte sorgte bei Kimmich für eine Karriere-Delle

Kimmich kann aber auch stur sein, wie in der Corona-Pandemie, als er längere Zeit bevorzugte, sich nicht impfen zu lassen. Ansichtssache. Eine Zeit lang rieb sich ganz (Fußball-)Deutschland am Impf-Verweigerer, der öffentliche Druck machte Kimmich und seiner Familie zu schaffen. Eine Karriere-Delle, die sich nicht auf dem Platz ereignete. Dort schob ihn jeder Trainer bei Bayern oder im DFB-Team hin und her, mal Rechtsverteidiger, mal Sechser. Immer zuverlässig, oft Weltklasse.

Kimmich galt schon immer als designierter Kapitän, weil er diese Aura eines Anführers in sich trägt. Ein Kümmerer, ein Motivator. Einer, der andere antreibt, auch mal nervt, aber nicht angetrieben werden muss. Für Kimmich geht es nun darum, endgültig zu beantworten, wie er in Zukunft als Fußballer wahrgenommen wird von der Öffentlichkeit und der Fan-Gemeinde. Darum, was er hinterlässt. Welches Bild wird man von JK im Kopf haben, wenn man eines Tages auf seine Zeit als aktiver Profi zurückblickt? Er hat es selbst in der Hand.

 

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