Scholl oder Kahn: Der Fight um die TV-Meisterschaft
Der spitzbübische Scholli und der alte Titan: Vor und nach den WM-Spielen läuft im deutschen Fernsehen die zweite Meisterschaft - die der TV-Experten. Mehmet Scholl und Oliver Kahn haben zusammen beim FC Bayern Erfolge gefeiert. Und sind zwei Charaktere, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. spot on news nimmt sie in die Einzelkritik.
Rio de Janeiro - Im Fußball-Land Deutschland dauert ein WM-Spiel nicht 90 Minuten. Und es ist auch nicht mit 120 Minuten und Elfmeterschießen getan: Wenn die Weltmeisterschaft ruft, dauert ein Fußballabend in den Wohnzimmern mindestens drei Stunden - von den ersten Vorberichten, bis zum letzten Interview. Die heimlichen Spielmacher sind dabei die TV-Experten. Sie werden fast zu so etwas wie Verwandten auf Zeit: Nerven mit Stammtischparolen und Spleens oder unterhalten die Clique mit ihren süffisanten Kommentaren.
2014 haben zwei ehemalige Bayern-Profis den Job übernommen: Mehmet Scholl (43, "Frei: gespielt") und Oliver Kahn (45, "Ich. Erfolg kommt von innen"). Auf dem grünen Rasen haben sie zusammen Erfolge gefeiert. Auf dem TV-Schirm sind sie (fast) Konkurrenten: Hier der immer noch wendige, bisweilen spitzbübische Scholl - dort Kahn, der auch am Mikrofon noch titanenhafte Züge zeigt. Kurz vor Ende der brasilianischen Tage ist die Frage erlaubt: Wer hat das Spiel für sich entschieden? Die Nachrichtenagentur spot on news hat das Match analysiert.
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Akribiker am Werk: Die fachliche Grundtechnik der Experten
Dass Mehmet Scholl und Oliver Kahn echte Fußball-Experten sind, ist unbestritten: Profis mit jahrzehntelanger Erfahrung. Aber da gibt es eben einen feinen Unterschied. Kahn war Torwart - Scholl immer mitten im Gewühl. Wenn es im ZDF heißt, wie ein Spielzug funktioniere, könne "uns Oli Kahn erklären", zieht der ein oder andere Zuschauer vielleicht eine Braue hoch: Schließlich hat Kahn nie in einer Mittelfeldreihe aggressives Pressing erprobt - und spricht lieber (äußerst kritisch) über Torwartfehler. Scholl berichtet hingegen aus erster Hand und ziemlich ehrlich über den Hitzekampf des Filigrantechnikers. Oder auch die Verwirrung, die in den Schaltzentralen entsteht, wenn ein unerwartetes Tor fällt. Sogar Behandlungsmethoden für müde Muskeln kennt der geprüfte Fußballlehrer aus dem Effeff: Diesen Ball versenkt Scholl - 1:0.
Körpersprache: Wer kauft dem Publikum den Schneid ab?
Im Hintergrund grüßt der Strand von Rio - vor der Kamera wird TV-Fußball gearbeitet. Fernsehen ist ein ziemlich optischer Sport. Scholl und Kahn machen bei der Analyse recht unterschiedliche Figuren. Ersterer lehnt gemütlich am Moderationspult und lässt das Mikro baumeln - nur in ganz haarigen Situationen steigt bei Scholl sichtlich die Spannung. Zweiterer hört sich die Fragen seines Kompagnons Oli Welke konzentriert mit gesenktem Kopf an und schöpft vor der Antwort tief Luft: Kahn bleibt Titan, auch am Mikrofon. Wieviel physischen Ernst die TV-Berichterstattung braucht, ist Geschmacksfrage. Lockerer sitzt die Rolle bei Scholl. Kahn atmet Seriosität - Unentschieden!
Das Runde muss ins Eckige: Wer versenkt die Pointe?
Die Experten erzählen viel, wenn die WM lang ist. Am Ende vier brasilianischer Wochen bleibt vor allem ein Bauchgefühl. Das sagt: Die Kracher hat Mehmet Scholl abgeliefert. Wenn der Ex-Profi rügt, Holland-Couch Louis van Gaal habe beweisen wollen, "den allergrößten Fußball-Keks gegessen" zu haben, ist das ein verbaler Fallrückzieher erster Kategorie. Fast wie einst Günter Netzer. Nur ein bisschen schlurfiger. Ein würdiger Nachfolger für jenes Politikum, das Scholl 2012 schuf. Damals sorgte er sich um Stürmer Mario Gomez, der sich bei seinen Torbemühungen "wundliegen" könne. Treffer versenkt - 2:0.
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"Eier, wir brauchen Eier!": Das Kämpferherz
Fußball ist Spaß, Fußball ist Augenschmaus - aber auch ein Kampfsport. Wenn Tore in letzter Sekunde und Stürmer über Verteidigerbeine fallen, kochen die Emotionen hoch. Das müssen auch die Experten aufgreifen. Drauf haben das sowohl Scholl als auch Kahn. Mehmet Scholl redete sich etwa beim Foul an Brasiliens Star Neymar in Rage. Bei Kahn gerät das Blut aber immer noch schneller in Wallung. Auf dem Platz erregte Kahn beim Gegner Angst und Schrecken. Im TV transportiert er Emotion ins Wohnzimmer: "Leg ihn quer, da muss der hin, der das härteste Pfund im Fuß hat! Der schießt den Ball durch die Mauer, was weiß ich, das Netz, den Torwart hinten raus!", ärgerte sich Kahn über das Ausscheiden der Schweizer gegen Argentinien. Da rappelt es im Fernseher - 2:1.
Auf ein Bier mit Scholli: Die Kabinenansprache
31 Tage WM - da wird der Experte zum Familienmitglied. Er plaudert ins Abendbrot, liefert den Witz zum Gute-Nacht-Bier und schwätzt die Kinder in den Schlaf. Sympathisch genug, um keinen Platzverweis oder ein Hausverbot zu riskieren, zeigten sich sowohl Scholl als auch Kahn. Nette, meist amüsante Jungs mit interessanten Meinungen und Geschichten aus einem wilden Fußballerleben, alle beide. Den letztlich charismatischeren Wohnzimmergenossen gibt aber Scholl ab. Er antwortet kurz und knapp, wenn's knapp sein darf oder die Frage blöd war. Teilt dann wieder mitreißende Stories und Einblicke ins Leben auf dem Platz - und wenn er mal keine Ahnung hat, gibt er das auch zu. Mit so einem stößt man gerne auf den Sieg an - 3:1.
Am Ende bleibt ein Punktsieg für Scholl: So lässig und kompetent wie den Münchner wünscht man sich seine Experten - er ist das würdige TV-Update für den einst heißgeliebten Günther Netzer. Eigentlich ist es aber die erste, kleine Weltmeisterschaft für Deutschland. Bei 64 Spielen und hunderten Stunden TV-Wahnsinn bleiben Längen nicht aus. Aber Scholl und Kahn waren ihre tägliche Verlängerungszeit wert. Denn auch wenn der "Titan" am Mikrofon kein Zuckerfüßchen mehr wird: Sympathisch und bereichernd waren seine Bemühungen allemal. Da hat Deutschland schon ganz anderes erlebt.