Schlagerkönig Kuhn: "Podolski hat den Kuhn-Faktor"
Dieter Thomas Kuhn (51) ist einer der Schlager-Könige Deutschlands. Der Tübinger, der am 9. Juli auf dem Tollwood auftritt, Frauen-Unterwäsche, Homo-Erotik, seine eigene Ängstlichkeit und ein Fest der Liebe
AZ: Herr Kuhn, Sie, einer der Wiederbeleber des deutschen Schlagers, sind in Fußballerkreisen zu einer Kultfigur geworden. Bundestrainer Joachim Löw hat sich als Verehrer geoutet, hat nach dem WM-Gewinn 2014 zu Ihren Liedern tanzend gefeiert.
DIETER THOMAS KUHN: Löws Siegestanz ehrt mich sehr. Ich kenne ihn seit ein paar Jahren, er war bei einem Konzert in Freiburg und danach haben wir uns getroffen. Wir haben seitdem Kontakt. Auch sonst haben wir im Lauf der Jahre mitbekommen, dass der Schlager, dass wir, in Fußballerkreisen angesagt sind, wenn sich ganze Mannschaften – wie etwa Freiburg oder Berlin – für unsere Konzerte angemeldet haben.
Wie ist Löw privat?
Lockerer, als die Öffentlichkeit meint. Aber ich muss zugeben, ich war jetzt schon sehr amüsiert, als ich ihn jetzt in seinen Posen gesehen habe.
So locker wie beim Hosengate haben Sie ihn nicht erwartet.
(lacht) Definitiv nicht.
Ihre Konzerte sind ja dafür bekannt, dass Unmengen an Unterwäsche auf die Bühne fliegen. Vielleicht können Sie ihm ja einen Slip anbieten, der nicht kneift.
(lacht) Der Fundus wäre groß, aber man muss sagen, dass der allergrößte Teil der Unterwäsche, die wir erhalten, Damendessous sind. Ich habe doch große Zweifel, dass Löw damit assoziiert werden will.
Wer hat für Sie den Kuhn-Faktor, die Selbstironie?
Das ist für mich ganz klar der Podolski, er hat den Kuhn-Faktor. Allein, wie er Löws Fauxpas locker kommentiert hat. Er sagte, dass sich „80 Prozent der Männer die Eier kraulen“. Das war ein herrlicher, amüsanter Moment.
"Beckenbauers Lied war grenzwertig"
So wie Ihr Cover des musikalisch höchst zweifelhaften Epos „Gute Freunde“ von Franz Beckenbauer.
Das Lied war schon zu seiner Zeit musikalisch mehr als grenzwertig, daran hat sich nichts geändert. (lacht)
Sie haben eine Kunstfigur geschaffen. Föhnwelle, Brusthaar-Toupet. Wer inszeniert sich mehr: Dieter Thomas Kuhn oder Ronaldo?
Ich denke, an Ronaldo kommt niemand heran. Ich sehe bei ihm auch keine Selbstironie. Und daher finde ich, dass kein Mensch – egal, was er geschafft oder erreicht hat – sich so selber inszenieren sollte. Das widert mich eher an.
Sie setzen bei Ihrer Inszenierung auf das Stilmittel der Homo-Erotik. In der Machowelt des Fußballs ist Schwulsein immer noch ein Tabu-Thema.
Ja, und ich denke, das wird es noch lange bleiben. Ich fürchte, dass die Hardcore-Fans, bei denen man ja selber nicht weiß, wie viele von denen eigentlich schwul sind, nicht akzeptieren, dass ein Fußballer homosexuell ist. Ich verstehe diese Einstellung nicht, aber ich fürchte, sie ist schlicht Realität.
Sie haben 2006 beim Sommermärchen nach dem Spiel um Platz drei im Stuttgarter Schlosspark gesungen, wie sind die Erinnerungen daran?
Das war megamäßig. Auf einer Mini-Bühne vor 80 000 Menschen, die eine große Party feiern. Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen Musik und Fußball. Nur, dass bei uns am Ende alle Gewinner sind. Die Band, aber auch die Fans, denn wir hatten alle Spaß.
Das Sommermärchen war überhaupt sehr kuhnig: schrill, frech, selbstironisch.
Es war wunderschön, Deutschland hat sich von seiner Sonnenseite präsentiert, auch diesen speziellen Humor gehabt, der Ängste nimmt. Was mir besonders im Kopf geblieben ist, ist die Unbeschwertheit, die herrschte. Ein Turnier ohne die hässlichen Begleiterscheinungen, die uns jetzt erschüttern.
Die Attacken der Hooligans, die große Angst vor dem Terror. Sie selber wurden ja auch vor einigen Jahren Opfer eines gewaltsamen Überfalls.
Das ist etwa zehn Jahre her, dass ein Freund und ich ohne Grund rücklings attackiert wurden und einfach auf die Fresse gekriegt haben. Es war eine schreckliche Erfahrung, dass man so zum Opfer von blindwütiger Gewalt wird. Als ich jetzt die Bilder der Hooligan-Attacken gesehen habe, kamen diese Bilder wieder hoch. Ich bin grundsätzlich ein sehr ängstlicher Mensch. Dieser Wille zur Gewalt macht mir Angst, die Welt im Globalen macht mir im Moment Angst.
"Müller, Netzer, Breitner - das waren Charaktere"
Rührt die Angst aus Ihrer Kindheit? Ihr Vater arbeitete beim LKA, war in der Hoch-Zeit des RAF-Terrors in die Ermittlungen eingebunden.
Ich bin sehr an Psychologie interessiert und kann mir gut vorstellen, dass meine Ängstlichkeit darin eine Ursache hat. Ich war so um die elf Jahre alt – und zu erleben, wie mein Vater Monate, ja, Jahre mit dieser inneren Aufruhr, dieser Angst lebte, hat mich beeinflusst. Die 70er Jahre waren eine zwiespältige Erfahrung für mich.
Fußball der 70er Jahre stand für wilde Frisuren, Brustbehaarung. Sicher inspirierend für Sie, die singende Föhnwelle mit dem Brust-Toupet.
Der Fußball damals hatte dem Auge einiges zu bieten. Man musste den Spielern nur auf die Köpfe schauen, dann hat man sie erkannt: Gerd Müller, Günter Netzer, Paul Breitner. Das waren Charaktere, das fehlt mir heute ein bisschen. Wenn man die Nummern nicht sieht, kann man teilweise kaum erkennen, wer da am Ball ist, das ist alles ein bisschen glattgebügelt. Der Boateng ist da ein bisschen eine Ausnahme.
Für Boateng, der ja von AfD-Vize Gauland rassistisch beleidigt worden war, hätten Sie die perfekte Hymne im Repertoire: „Hallo, Herr Nachbar“.
(lacht) Stimmt. Aber ich muss sagen, es kotzt mich an, dass Menschen heutzutage ihren Rassismus, ihren Hass ungefiltert derart verbreiten. Ich finde es ekelhaft, dass Menschen aufgrund der Hautfarbe diskriminiert werden. Ich sage ja, diese Welt kann einem Angst machen. Wir hingegen versuchen, den Menschen mit unseren Konzerten etwas Spaß zu bringen. Freude am Miteinander, ohne Vorurteile.
Also dem Titel Ihrer CD entsprechend ein „Fest der Liebe“ – eben nicht der Hiebe.
Ein bisschen mehr von uns täte der Welt, auch der Welt des Fußballs, ganz gut. (lacht)