"Scheinheilig"

Michael Ballack lässt den Streit mit Jogi Löw eskalieren. Der aussortierte Ex-Capitano lehnt das ihm angebotene Abschiedsspiel ab und bezichtigt den Bundestrainer sogar der Lüge.
von  Jochen Schlosser

München - Michael Ballack hätte einen schönen Abschied haben können. Ein Abschiedsspiel vor ausverkauftem Haus am 10. August mit der deutschen Nationalmannschaft gegen Rekordweltmeister Brasilien. Doch daraus wird nichts! Stattdessen gibt es nun richtig Zoff. Denn Michael Ballack verzichtet nicht nur auf das Angebot, er greift Joachim Löw massiv an. Der ehemalige Capitano bezichtigt den Bundestrainer der Lüge. Er wirft ihm Scheinheiligkeit vor. Er spricht von einer Farce. Er behauptet, aus der Presse vom Ende seiner Nationalelfkarriere erfahren zu haben.

Der 34-Jährige, derzeit noch mit seiner Familie im Urlaub in den USA, ließ am späten Freitagnachmittag durch eine Hamburger Anwaltskanzlei eine Erklärung seines Beraters Michael Becker veröffentlichen – und die hat es in sich.

„Ich habe gestern im Urlaub durch eine Pressemitteilung des DFB erfahren, dass der Bundestrainer nicht mehr mit mir plant“, ließ sich Ballack dort zitieren. Und weiter: „Form und Inhalt der Nachricht überraschen und enttäuschen mich zugleich, weil sie die vom Bundestrainer mir gegenüber gemachten Aussagen in keinster Weise widerspiegeln.“ Das heißt im Klartext: Der Profi von Bayer Leverkusen behauptet, dass Löw die Unwahrheit sagt.

Am Donnerstag hatte Löw via Pressemitteilung das Ende der DFB-Karriere des Routiniers (98 Länderspiele) verkünden lassen, dies mit der Vielzahl guter junger Spieler begründet und von „mehreren Telefonaten“ mit dem Mittelfeldspieler berichtet. Löw hatte erklärt: „In unseren Gesprächen hatte ich den Eindruck, dass Michael durchaus Verständnis für unsere Sichtweise hat.“

Damit hat er sich offenkundig getäuscht. Denn Ballack schießt zurück! „Form und Inhalt der Mitteilung sind leider bezeichnend dafür, wie sich der Bundestrainer mir gegenüber seit meiner schweren Verletzung im Sommer letzten Jahres (Ballack hatte sich vor der WM in Südafrika durch ein Foul des Ex-Bundesligaprofis Kevin-Prince Boateng im englischen Cup-Finale mit dem FC Chelsea schwer verletzt, d. Red.) verhalten hat“, polterte der Leverkusen-Profi. „Wenn jetzt so getan wird, als sei man mit mir und meiner Rolle als Kapitän der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft jederzeit offen und ehrlich umgegangen, ist das an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten.“

Der scheinheilige Bundestrainer? Ein Mann, der die Unwahrheit sagt? Ballack bezieht sich mit seinen schweren Vorwürfen wohl darauf, dass der stets eloquente Badener in der Vergangenheit oftmals betont hatte: „Wenn Michael Ballack wieder fit ist, dann ist er auch mein Kapitän.“

Doch ist Löws Entscheidung, nun auf den alternden Star zu verzichten, wirklich scheinheilig? Die Frage, ob der erst zum Saisonende in Leverkusen zum Stammspieler gewordene 34-Jährige fit genug für die Nationalmannschaft ist, ist keine Frage von Wahrheit oder Lüge, sondern bestenfalls eine Streitfrage.

Ballack jedoch ist zutiefst gekränkt. Und so sagte er für das ihm angebotene Abschiedsspiel nicht einfach ab, sondern er verband dies mit einer weiteren Attacke gegen Löw. „Ein längst vereinbartes Freundschaftsspiel jetzt als Abschied zu deklarieren, ist aus meiner Sicht eine Farce. Ich weiß, dass ich meinen Fans dieses Spiel eigentlich schuldig bin, aber ich kann dieses ,Angebot’ nicht annehmen.“

Dazu hatten ihm unter anderem die DFB-Ehrenspielführer Franz Beckenbauer und Lothar Matthäus geraten. Doch auf diese beiden hat Michael Ballack noch nie gehört. Der DFB übrigens reagierte zunächst eher zurückhaltend auf die harschen Anschuldigungen. Generalsekretär Wolfgang Niersbach nannte es „schade, dass Michael jetzt so reagiert hat. Seit Ende März stand der Bundestrainer ständig mit ihm in Kontakt und hat in aller Offenheit mit Michael über seine sportliche Situation geredet, weil er das verdient hat.“ Alle, besonders Löw, hätten das Angebot eines Abschiedsspiels „total ehrlich gemeint“.

Außerdem habe der Bundestrainer Ballack schon Ende März verkündet, künftig auf ihn verzichten zu wollen. Ein angeblich vereinbartes Gespräch über die Modalitäten der Veröffentlichung kam nach DFB-Darstellung aufgrund des Verhaltens von Ballack nicht mehr zustande.

Somit endet die DFB-Karriere des Unvollendeten – der Sachse Ballack wurde 2002 Vize-Weltmeister und 2008 Vize-Europameister – mit Vorwürfen, Streit und Missgunst. Und irgendwie passt das.

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