Sascha Göpel über schwule Fußballer: Es ist eine Rechenaufgabe

München - Der Schauspieler Sascha Göpel durfte beim "Wunder vom Bern" Helmut Rahn spielen. In der AZ spricht er über die Vorbereitung auf den Film, den WM-Helden Mario Götze und Homophobie im Fußball.
AZ: Herr Göpel, die Worte "Kopfball – abgewehrt – aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt! – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!", wie oft haben Sie das gehört, wie sehr gehören sie zu auch zu Ihrem Leben?
SASCHA GÖPEL: Sehr oft! Der Film "Das Wunder von Bern", in dem ich Helmut Rahn dargestellt habe, kam 2004 raus und in den 14 Jahren seitdem sind die prägnanten Worte des Reporters Herbert Zimmermann auch ein Teil meiner Vita geworden. Das ist sicher erstaunlich für jemanden, der sehr viel im klassischen Theater, auf der Bühne, der Leinwand auftritt.
Sie gelten als Charakterdarsteller. Wie sehr fasziniert Helmut Rahn, der Deutschland zum Titel 1954 geschossen hat, aber sehr viele Verwerfungen in seinem Leben hatte?
Rahn hat unglaublich viele Ebenen. Er war der Held eines Landes, aber er war auch Lokalheld in Essen, ein Working class hero. Er hatte Probleme mit Alkohol, ist betrunken Auto gefahren, war im Gefängnis. Er war privat irgendwo ein gebrochener Mann. Das ist die Art von Charakteren, die die großen Dramen prägen. Wobei es dort natürlich andere Überhöhungen gibt, wenn Ödipus sich in seine Mutter verliebt und den Vater erschlägt. Aber es sind die zerrissenen Personen, von denen es im Sport einige gibt, wie etwa George Best, die besonders faszinieren.
Haben Sie viel Recherche über Helmut Rahn betrieben?
Ich hatte das Glück, dass ich wie er aus Essen stamme und Anekdoten über Rahn, den Boss, da allgegenwärtig sind. Er war ein bunter Hund. Meine Großmutter ist mit ihm in die Volksschule gegangen, daher wusste ich viel über Rahn. Ich habe ihm Briefe geschrieben, aber er hat nicht geantwortet, weil er sich völlig zurückgezogen hat. Ich habe mit den Freunden aus seiner Stammkneipe, wo er sein Bier getrunken hat, geredet. Aber es kam nie zum persönlichen Treffen. Er war sehr krank. Der Rückzug hat viel mit der eigenen Legende zu tun. Ähnlich wie bei Romy Schneider, die am Ende das Haus nicht verlassen hat, weil sie lieber gar nicht gesehen werden wollte, als in dem Zustand, in dem sie war.
Sie waren für die Rolle des Helmut Rahn prädestiniert.
Ich war als Schauspieler ein Nobody. Aber als ich am Set war, habe ich mir gesagt: Keiner dort ist für die Rolle besser geeignet als ich, weil Rahn immer ein Teil meines Lebens war. Ich habe, bis ich 16 war, alle DFB-Lehrgänge durchlaufen, spielte bei Rot-Weiß Essen. Es war mein erster großer Film – und dann gleich Rahn. Ein Erlebnis! Ich habe 54er-Held Horst Eckel getroffen, der mir erklärt hat, dass die Spieler vor der Partie eine Stunde Laufen waren, danach das Spiel. Sie haben nicht einen Tropfen Wasser trinken dürfen, weil man glaubte, dass man Seitenstechen kriegt. Nach dem Spiel haben sie flaschenweise Wasser getrunken, weil sie so dehydriert waren, dass sie fast umgefallen sind. So waren die Umstände der Helden von Bern.
Das Schicksal ist mit den Weltmeistermachern nicht gnädig umgegangen. Rahn 1954, Gerd Müller 1974, der an Alzheimer leidet, Andreas Brehme 1990, den Finanzprobleme plagen, Mario Götze 2014, der aufgrund einer Erkrankung eine lange Auszeit brauchte.
Interessant, dass Sie das ansprechen, ich habe mich gerade erst länger über Götze unterhalten. Wie er im Finale mit einem Seitfallzieher dieses Tor macht und alle denken: Jetzt ist er der Held. Was dann alles auf ihn eingeprasselt ist! Das Schicksal kann hart sein. Deswegen fand ich das Interview von Per Mertesacker so wichtig, der erklärt hat, wie einen der Druck fertig machen kann. Es sind alles interessante Menschen und Schicksale. Auch Brehme. Wobei man sich schon fragt: Er hat sicher genug Geld verdient, wo ist das hin?
Wie sehr hat Sie die historische Bedeutung dieses WM-Siegs – der erste große Erfolg nach der Schande des Dritten Reiches – beschäftigt?
Ich habe mich mit den Biografien auseinandergesetzt. Wie sind die Protagonisten durch die zwölf dunklen Jahre gekommen? Natürlich bleibt manches Fiktion, weil ich nicht selber etwa mit Rahn sprechen konnte. Man kann als Schauspieler auch nicht in jeden Blick die Schrecken des Zweiten Weltkrieges legen. Aber für fast alle von uns ist das Thema Drittes Reich ein Thema in den Familien, weil die Eltern oder Großeltern das erleben mussten. Manchmal ist es kein Thema in Familien, was für sich wieder ein Thema ist. Selbstverständlich spielte die Geschichte des Aufstieges wie Phoenix aus der Asche, einer Asche, die man selbst gelegt hat, eine große Rolle in dem Film. Das Wunder von Bern war viel mehr als nur ein WM-Titel.
Sie spielten in "Verrückt nach Clara" einen Homosexuellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch unter den Helden von Bern ein schwuler Kicker war, ist groß.
Es ist eine einfache Rechenaufgabe, wenn man davon ausgeht, dass ein gewisser Prozentsatz der Menschheit homosexuell ist, dass es auch in Fußball-Mannschaften so ist. Es ist ein großes Phänomen, dass der einzige deutsche Fußballer, der je schwul war, Thomas Hitzlsperger ist. Und auch der ist es erst nach seiner aktiven Karriere geworden.
Ironie-Alarm!
Homophobie ekelt mich an, eigentlich langweilt es mich nur, dass wir nicht weiter sind. Ich habe Verständnis für jeden Spieler, der sich nicht outen will, weil er sich nicht von den Ultras, die das Prinzip der Solidarität und Offenheit im Fußball nicht verstanden haben und dann einen geouteten Fußballer niederbrüllen, beleidigen lassen will. Ich habe aber kein Verständnis dafür, dass Homosexualität in der Gesellschaft noch ein Thema ist. Für mich sind Liebe und Sex Dinge, die nur ins Privatleben gehören – genau wie Religion. Ich habe mich bei "Verrückt nach Clara" sehr mit dem Thema beschäftigt. Denn die Art, wie Homosexuelle porträtiert wurden, hat mich immer gestört, irritiert.
Klischeebeladen, tuckig.
Genau. Ich wollte das Leben darstellen, nicht eine Karikatur. Das ist in der schwulen Presse sehr gut aufgenommen worden. Die erste Frage bei Interviews war fast immer: "Sind Sie schwul?" Ich habe gesagt: Nein, ich bin nicht schwul, aber ich bin Schauspieler. Ein größeres Kompliment kann man mir nicht machen, als dass man mir die Rolle abnimmt.