Ronaldo als Versager abgestempelt

Portugal hat gewonnen – und doch interessieren sich alle nur für die außergewöhnliche Formschwäche von Cristiano Ronaldo.
von  dpa

Charkiw - Beim 3:2 gegen Dänemark vergibt der Superstar zwei glänzende Chancen – inzwischen haben die heimischen Zeitungen und auch Politiker die Schnauze voll. Lwiw (dpa) – Glamourboy Cristiano Ronaldo sank zu Boden wie der größte Verlierer in der hell erleuchteten Arena von Lwiw. Dabei gehörte der „Chancentod“ zu den portugiesischen Gewinnern, die durch das 3:2 gegen Dänemark in der Verlosung um einen EM-Viertelfinalplatz bleiben.

Dem etatmäßigen Superfußballer Ronaldo aber war kaum zum Feiern zumute – stattdessen erarbeitete er sich inzwischen einen Spitzenplatz im Feld der EM-Enttäuschungen. So tief von der flauschigen Wolke des Glücks, des Erfolgs und des Ruhms gefallen wie der Wahl-Madrilene ist in diesen Tagen noch kein Star. Nach seinem eindruckslosen Auftritt gegen Deutschland vergab Ronaldo gegen die Dänen in kläglichster Art und Weise zwei Großchancen – und das im vorentscheidenden Gruppenspiel ums Weiterkommen.

Dank Nobody Silvestre Varela, dem Siegtorschützen, blieb ihm eine nie dagewesene Schelte erspart. Aber auch so fiel das Urteil der heimischen Beobachter hart aus. „Ronaldo braucht einen Psychologen“, titelte Kolumnist Bruno Prata, einer der angesehensten Sportjournalisten Portugals, in der seriösen Zeitung „Público“: „Man kann sich nicht erklären, wie sein Talent plötzlich wie verrostet ist.“ Der 27-Jährige habe das „Überleben des Teams“ gefährdet, fauchte das Sportblatt „Record“. Selbst so mancher Politiker teilte aus.

Der sozialistische Fraktionsführer im Parlament, Carlos Zorrinho, urteilte knallhart: „Wenn Ronaldo der wichtigste Mann auf dem Platz sein will, wird er scheitern.“ In der Tat stellt sich die Frage, was bloß los ist mit dem Ausnahmekönner. Die Last einer ganzen Fußball-Nation auf den Schultern zu tragen ist offenbar zu viel für einen, der sich selbst für den Größten hält. Selbstverliebte Arroganz wird Ronaldo schon lange vorgeworfen, bisher hat der 27-Jährige die Kritik meist mit beeindruckenden Leistungen kontern können.

Allein 65 Tore in 60 Pflichtspielen der Vor-EM-Saison sprechen eindrucksvoll für sich. „CR7“ trifft sonst, wie er will – jetzt aber scheint ihm nach all den Auftritten für Real in Spanien das Pulver ziemlich schnell ausgegangen zu sein. Zweimal lief Ronaldo am Mittwochabend allein auf Schlussmann Stephan Andersen zu, zweimal verzog er. Bei einem Torwart als Gegenüber, der durchaus gutes internationales Format hat, beileibe aber keine Weltklassequalitäten.

„Cristiano ist einer der besten. Jetzt hat er mal nicht getroffen, aber er hat das schon in anderen Situationen geschafft“, beschwichtigte Mitspieler Pepe, der per wuchtigem Kopfball (24. Minute) zusammen mit Hélder Postiga (36.) eine scheinbar sichere 2:0-Führung herausgeschossen hatte. Dass es für die Portugiesen nach Nicklas Bendtners Doppelpack (41./80.) noch zum Sieg reichte, hatten sie einer Mischung aus purem Glück und großer Willenskraft zu verdanken. Der eingewechselte Varela pfefferte drei Minuten vor Schluss den Ball aus dem Getümmel ins Netz - die Portugiesen vergruben ihn anschließend unter einem Menschenberg der Freude.

„Wir sind nach dem 2:2 über uns hinausgewachsen, haben Charakter und Persönlichkeit gezeigt“, lobte der sonst so betont zurückhaltende Trainer Paulo Bento beinahe übermütig. Das Zustandekommen des Sieges dürfte neue Kräfte freisetzen - vielleicht auch bei Ronaldo. Er selbst zeigte sich am Mittwoch verärgert über die kleinen Stiche von den Tribünen in Form von „Messi“-Rufen.

Mit dem Argentinier duelliert er sich seit langem um die internationale Fußballkrone; es geht darum, wer von beiden letztlich besser ist. Das Massenblatt „Correio da Manha“ ist sich sicher: „Für seine Landsleute ist die Diskussion spätestens nach dem gestrigen Spiel zu Ende. Ronaldo ist es nicht.“

 

 

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