Robben und Co: So zankte sich Oranje aus der EM
Krakau – Schon bei den ersten Aufräumarbeiten in der niederländischen Chaos-Truppe wurde das ganze Ausmaß der inneren Zerrissenheit deutlich. Der frustrierte Dauerreservist Klaas-Jan Huntelaar soll vor dem Rauswurf gestanden haben, Gerüchte über Handgreiflichkeiten machten die Runde – die Möchtegernchampions standen sich beim EM-Vorrunden-Aus mit ihren Egos mal wieder selbst im Weg.
„Es ist schwer, füreinander zu kämpfen, wenn das Vertrauen weg ist“, gab Spielmacher Wesley Sneijder zu. Seine Analyse ließ tief blicken. Die heftige Kritik von Legende Johann Cruyff passte zum Kater. Bis zum 6. Juli soll geklärt werden, ob Bondscoach Bert van Marwijk seinen bis 2016 laufenden Vertrag erfüllen darf. Die Sehnsucht nach dem großen Titel blieb im kleinen Holland erneut unerfüllt – und noch nie waren die Niederländer so weit vom Triumph entfernt wie in Polen und der Ukraine.
„Wir sind um eine Enttäuschung reicher und um eine Illusion ärmer“, schrieb „De Telegraaf“ am Dienstag. Als Arjen Robben und Co. nach dem Debakel in die niederländische Hauptstadt zurückkehrten, warteten nur ein paar hundert Anhänger auf ihre gefallenen Helden. Vor zwei Jahren hatten dem Vize-Weltmeister noch Hunderttausende bei einer Grachtenrundfahrt durch Amsterdam ein begeistertes Willkommen bereitet.
„Dunkler Empfang in Schiphol“ titelte „De Telegraaf“ Im Mittelpunkt der Kritik steht Trainer van Marwijk. KNVB-Direktor Bert van Oostveen will sich mit dem 60-Jährigen so schnell wie möglich an einen Tisch setzen. „Ich will das nicht noch einmal erleben und daher werden wir alles ganz genau durchleuchten“, sagte der Verbandsboss dem „Algemeen Dagblad“. Van Oostveen ist besonders übel aufgestoßen, dass die Mannschaft während der EM offensichtlich nicht fit war. Der Unterschied mit den anderen Teams sei „unglaublich“ gewesen, kritisierte er.
„Das will ich als Direktor wissen, aber auch als Fußballfan.“ In der niederländischen Öffentlichkeit wird van Marwijk nicht die Alleinschuld am ersten Vorrunden-Aus bei einer EM seit 32 Jahren gegeben. Bei einer Umfrage des „Algemeen Dagblad“ war die Stimmung bis Dienstagmittag geteilt. 49 Prozent der Befragten meinten, es sei Zeit für einen anderen Coach. 51 Prozent sagten, van Marwijk solle den dringend benötigten Neuanfang selbst einleiten. Auch die Fußball-Prominenz stützt den ehemaligen Trainer von Borussia Dortmund.
So ist in der Kolumne von Hollands Fußball-Legende Johan Cruyff von Rücktrittsforderungen nicht zu lesen. Vielmehr gibt der Vize-Weltmeister von 1974 und 1978 van Marwijk einen guten Rat. „Bert muss nun ganz klar entscheiden, wer für ihn wichtig ist“, schrieb Cruyff in „De Telegraaf“. Wer nicht mitziehe, dürfe nicht mehr nominiert werden, die Verantwortung liege bei den Spielern. „Und damit meine ich vor allem die Stars“, erklärte Cruyff.
Die Profis mit den großen Egos scheinen in Krakau zu keiner Zeit zu einer Einheit geworden zu sein. Der prominente niederländische Fernsehmoderator Jack van Gelder behauptete sogar, Verteidiger Wilfred Bouma sei gegen den Teamarzt handgreiflich geworden, als dieser ihn zu einer Dopingkontrolle führen wollte. Bouma bestreitet das.
Auch Huntelaar wurde von ihm angeprangert. Der Bundesliga-Torschützenkönig vom Schalke 04 soll laut van Gelder mit der Dauer-Kritik an seiner Reserverolle die Stimmung verpestet und sogar kurz vor dem Rauswurf aus dem Quartier in Krakau gestanden haben. Auch wenn die EM für Oranje vorbei ist. In der Heimat werden die Nachwehen noch lange Zeit zu spüren sein.