„Richtig böse war ich nie“
Jens Lehmann wird 40. Hier verkündet der Torwart, dass er bald aufhört und sich schon aufs nächste Oktoberfest freut. Außerdem erzählt er eine bemerkenswerte Anekdote über fünf Mark.
AZ: Herr Lehmann, einen Tag vor Ihrem 20. Geburtstag 1989 fiel die Mauer. Wissen Sie noch, was Sie in diesen Tagen gemacht haben?
JENS LEHMANN: Eine Party.
Haben wir uns gedacht.
Trotzdem haben Sie falsch gedacht. Bei uns gab es die erste gesamtdeutsche Party, so hieß das Motto. Es kamen Freunde und Kameraden von Schalke.
Wenn Sie schon Torwart in Stuttgart gewesen wären, hätten sie damals gegen Bayern im Pokal gespielt – und keiner hätte es mitbekommen.
Und wie ging das aus?
3:0 für Stuttgart, da aber an dem Tag die Mauer fiel, ging der Sieg unter. Als SWR-Reporter bei den Tagesthemen nachfragten, wie lang der Beitrag werden sollte, hieß es nur: „Die Mauer ist offen.“
Fußball ist eben nicht alles.
Wie hat sich in den 20 Jahren der Mensch Jens Lehmann verändert?
Es sind vor allem negative Erfahrungen, die einen prägen und an denen man wächst. Es gab wenige, aber es gab sie.
Welche?
Mit 21 habe ich mich verletzt, sozusagen ein Totalschaden im Knie. Damals konnte man nicht sagen, ob man mit so etwas weiter spielen kann. Ein Jahr später bin ich in Leverkusen zur Halbzeit ausgewechselt worden.
Aus Leverkusen sind Sie damals mit der S-Bahn heimgefahren. Hatten Sie überhaupt Geld dabei?
Ich habe mir fünf Mark geliehen von einem älteren Mann, der immer bei uns beim Training war. Er sollte es beim nächsten Training zurückbekommen. Ich habe ihn leider nie wieder gesehen und habe gehört, er sei verstorben. 18 Jahre später – im Trainingslager mit dem VfB in Going – stand der Sohn des Mannes hinter meinen Tor beim Training, der mir die fünf Mark geliehen hatte. Er wollte das Geld nicht zurück.
Ihr Bild in der Öffentlichkeit ist nicht immer das beste.
Ich denke nicht darüber nach, was gut aussieht oder gut wirkt, sondern nur darüber, wie ich Erfolg habe. Das hat mir immer einen gewissen Abstand zu den Leuten gebracht. Die heutige Generation ist vorsichtiger und wird mehr geschult, wie manche Aktion auf dem Platz nach außen wirkt.
Wollen Sie denn nicht gemocht werden?
Natürlich möchte ich, dass die Leute kommen, um mich spielen zusehen. Aber ich möchte mein Privatleben schützen.
Sie bereuen keine Aktion, zum Beispiel, als Sie den Schuh des Hoffenheimers Salihovic wegwarfen?
Ich kann mich an keine Situation erinnern, wo ich sagen würde, das war richtig böse. Ich habe keinen verletzt. Der eine mag den Schuhwurf als unsportlich ansehen, aber damit kann ich leben.
Olli Kahn sagte, er wünsche Ihnen mehr Gelassenheit.
(lacht) Ich habe ja noch ein halbes Jahr Zeit.
Das heißt, Sie werden aufhören und nicht weiter spielen?
Ich werde nach dieser Saison aufhören, das ist definitiv.
Mit 40 befinden Sie sich jetzt also auf Abschiedstour?
Das empfinde ich genau so.
Was hat sich im Vergleich zu Ihren Anfängen verändert?
Ich habe bei jungen Spielern manchmal das Gefühl, für die ist nicht mehr ein großer Titel von Bedeutung, sondern zuerst ein großer Vertrag. Heute weiß ein Profi oft nach drei vier Jahren Bundesliga, das Polster ist groß genug, um keine großen Sorgen mehr zu haben.
Gibt es Spiele, die Sie gern noch mal spielen würden?
Oh, einige. Das Champions-League-Finale mit Arsenal gegen Barcelona, als ich früh die Rote Karte bekam (Arsenal verlor 1:2, d. Red), das WM-Halbfinale gegen Italien. Und das verlorene EM-Endspiel 2008 gegen Spanien.
Worauf Freude Sie sich am meisten, wenn Sie mit dem Fußball aufhören?
Aufs nächste Oktoberfest, da kann ich dann hingehen, ohne dass es später jemanden stört.
Interview: Oliver Trust
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