Ralf Rangnick: „Kapital, Kompetenz – und ein Konzept“
München - Der 57-Jährige Ralf Rangnick trainierte unter anderem Ulm, Stuttgart, Hannover, Schalke und führte Hoffenheim in die Erstklassigkeit. Nach einer Pause arbeitete er für Red Bull Salzburg und RB Leipzig, wo er im Moment als Trainer und Sportdirektor fungiert. Die AZ hat mit ihm im Interview gesprochen.
AZ: Herr Rangnick, Sie sind mit RB Leipzig vergangene Saison knapp am Aufstieg gescheitert. Diese Saison hat Red Bull wieder Millionen investiert, Sie gelten als Topfavorit.
RALF RANGNICK: Unsere Konkurrenten haben uns als Topfavorit bezeichnet. Das würde ich als Verantwortlicher eines anderen Vereins auch tun. Wir treffen seit Wochen auf Gegner, für die das Spiel gegen Leipzig das absolute Highlight ist. Dementsprechend sind die gegnerischen Spieler und Trainer hochmotiviert. Für uns ist wichtig, was auf dem Platz passiert. Der Weg stimmt.
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"Haben nicht gesagt, dass für uns nur der Aufstieg zählt."
Am Sonntag treten Sie beim TSV 1860 an. Die Löwen haben in der Liga noch kein Spiel gewonnen, stehen schon wieder stark unter Druck. Eine ungünstige Konstellation für Sie?
Wir treffen seit Wochen mal wieder auf einen Gegner, der sehr wohl etwas zu verlieren hat und auch nicht mit einem Unentschieden zufrieden sein kann. 1860 kann nicht sagen: „Wenn wir gegen Leipzig 0:0 spielen, ist alles in Ordnung.“
Wie nehmen Sie die Entwicklung des TSV 1860 wahr? Als selbsternannter Meisterkandidat sind die Löwen am Ende der vergangenen Saison fast abgestiegen.
Das ist ein gutes Beispiel, wenn wir über Erwartungshaltungen sprechen. Wir haben vor dieser Saison nicht gesagt, dass für uns nur der Aufstieg zählt. Sondern, dass wir eine Mannschaft mit großem Potenzial haben. Und wenn wir irgendwann mal aufsteigen, haben wir, ähnlich wie damals in Hoffenheim, eine Mannschaft, bei der wir nicht noch mal einen Riesen-Umbau vornehmen müssen. Bei 1860 war es ja so, dass Trainer Ricardo Moniz vergangene Saison gesagt hat, dass er nicht nur aufsteigen, sondern sogar Meister werden will. Was dabei herausgekommen ist, ist bekannt.
1860 hat wie RB Leipzig einen Investor, das Ganze funktioniert aber – milde ausgedrückt – nicht ganz so gut wie bei RB. Was können die Löwen sich von Leipzig abschauen?
Darüber zu urteilen, steht mir nicht zu. Aber das Ganze hat immer etwas mit Kontinuität zu tun und den gerne von Reiner Calmund zitierten drei K’s: Kapital, Kompetenz und – das ist aus meiner Sicht das Wichtigste – Konzept. Die Möglichkeit, finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, nützt alleine wenig.
In gegnerischen Stadien ist RB Leipzig immer wieder Protesten ausgesetzt. Ärgern Sie sich über das negative Image, das RB teilweise hat?
Darüber ärgere ich mich nicht. Es ist schon viel ruhiger geworden und wir sind da auf einem guten Weg. In Hoffenheim war das anfangs ähnlich. Da sind wir auch überall nicht auf viel Gegenliebe gestoßen und als wir dann als Tabellenführer zum Spitzenspiel gegen den FC Bayern nach München gekommen sind, haben bis auf die Bayernfans in Deutschland alle uns die Daumen gedrückt.
Nach vier Jahren sind Sie diese Saison wieder auf die Trainerbank zurückgekehrt. Wie gefällt ihnen die Arbeit mit der Mannschaft?
Es ist nicht so, dass ich mir das gewünscht habe. Aber als sich mehrere Trainer, mit denen wir uns eine Zusammenarbeit vorstellen konnten, aus unterschiedlichen Gründen nicht realisieren ließen, sind wir zu dieser Entscheidung gekommen. Wir wollten keine Kompromisslösung, sondern die in dieser Situation beste Lösung für den Verein. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, es zu machen.
Wie verkraften Sie die Doppelbelastung als Sportdirektor und Trainer?
Anstrengend ist der Job sowieso. Ich war drei Jahre lang Sportdirektor in zwei verschiedenen Vereinen, zwei verschiedenen Ländern und zwei verschiedenen Ligen. Das ging sehr gut, kein Problem. Aber wenn du Trainer bist, kreisen deine Gedanken eigentlich nur ums Tagesgeschäft und das jeweils nächste Spiel. Darauf liegt momentan der Fokus. Da bleiben wenig freie Kapazitäten für strukturelle Dinge.
Ist es richtig, dass Sie als Sportdirektor quasi auf der Suche nach ihrem Nachfolger sind, der Sie am Saisonende wieder als Trainer ablöst?
Ja, wir sind guter Dinge, dass wir den passenden Trainer finden. Der Kandidatenkreis dafür ist sehr überschaubar.
Mit Thomas Tuchel hat es nicht geklappt, Jürgen Klopp ist auf dem Markt. Würde er zu RB passen?
Die Frage ist nicht, ob er passen würde, sondern, ob Leipzig überhaupt in seine Karriereplanung passt. Dass er grundsätzlich zu unserer Spielphilosophie eine Affinität hat, ist klar. Als wir damals mit Hoffenheim im ersten Bundesligajahr 4:1 in Dortmund gewonnen haben, hat Klopp nach dem Spiel zu mir gesagt: Genauso wie Hoffenheim spielt, wollen wir irgendwann auch mal spielen. Das haben sie in Dortmund nachher sogar noch übertroffen.
Götze und Leipzig - "völlig unrealistisch"
Vor kurzem hieß es noch, dass Sie sich mit Mario Götze auseinandersetzen würden, wenn Leipzig schon in der Bundesliga wäre.
(lacht) Diese Aussage wurde etwas aus dem Zusammenhang gerissen. Na klar würden wir ihn mit Handkuss nehmen. Aber die Frage stellt sich nicht. Mario ist bei Bayern München und verdient wahrscheinlich auch nicht gerade wenig Geld. Damit passt er schon von vornherein niemals in unser Gehaltsgefüge. Da ist es völlig unrealistisch, auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Und wenn du schon mal bei Bayern warst, ist es sicherlich nicht das Richtige zu einem aktuellen Zweitligisten zu gehen.
Mit Joshua Kimmich spielt seit Sommer ein Ex-Leipziger beim FC Bayern. War das der richtige Schritt für ihn?
Was soll ein Junge machen, der von seinem Berater gesagt bekommt, dass Pep Guardiola ihn unbedingt haben möchte? Er hat ihn ihm Stadion gesehen. Danach hat Guardiola sich stundenlang Videozusammenschnitte angeschaut und es gab noch ein längeres persönliches Treffen. Mir war klar, dass er das machen muss. Ob es der richtige Schritt war, weiß man immer erst nach zwei, drei Jahren.
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Wie schätzen Sie Guardiolas Bedeutung für den deutschen Fußball ein, auch in Sachen Talentförderung?
Immer mehr Vereine erkennen, dass es Sinn ergibt, auch jungen Spielern zu vertrauen. Bei Dortmund spielt unter Thomas Tuchel gerade Ex-Löwe Julian Weigl und nicht der deutlich erfahrenere Gonzalo Castro. Pep macht das auch. Er ist mit Barcelona groß geworden. Dort werden auch immer wieder junge Spieler verpflichtet, aus den eigenen Reihen entwickelt und ihnen der Konzeptfußball und die Klub-DNA mit auf den Weg gegeben. Logisch, dass Pep Guardiola auch in München darauf aus ist.
Wünschen Sie sich, dass er länger bleibt, damit auch Sie sich noch mit ihm messen können?
Grundsätzlich hätten wir nichts dagegen, wenn wir schon in der nächsten Saison gegen Bayern München spielen würden. Das wäre großartig, weil wir dann tatsächlich dieses Jahr den Aufstieg geschafft hätten. Das wird aber nicht automatisch passieren, da sind wir realistisch genug.