Prolog für Paris: DFB-Elf im Trainingslager angekommen
Ascona/München - Um 15.45 hob der Sonderflug LX 9389 ab. Mit an Bord: Bundestrainer Joachim Löw und die Nationalmannschaft. Am Abend bezog das DFB-Team dann schließlich das Nobelhotel Giardino, ihr Mannschaftsquartier in Ascona. Bis zum 3. Juni wird sich die Nationalelf im Trainingslager in der Schweiz auf die EM in Frankreich, die am 10. Juni beginnt, vorbereiten.
Den Prolog der anstehenden Tour de France, die mit dem Finale in Paris enden soll, hat die Mannschaft also bereits hinter sich gebracht. In Frankfurt hatte sich der DFB-Tross zunächst am Flughafen zusammengefunden. Bastian Schweinsteiger reiste mit seinen ehemaligen Bayern-Kollegen aus München zum Treffpunkt.
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Nach der Landung um 17.30 Uhr in Lugano ging es per Bus weiter zum Teamhotel. Dort hatte sich die Nationalmannschaft schon 2008 auf die EM eingestimmt, wo sie sich erst Spanien im Finale geschlagen geben musste. "Dass die deutsche Mannschaft erneut Ascona und unser Haus ausgewählt hat, macht uns stolz", sagte Hotel-Direktor Philippe Frutiger. Am Nordufer des Lago Maggiore ist der Besuch seit Wochen das Thema Nummer eins. Längst ist alles für den elftägigen Aufenthalt angerichtet, der mondäne 5000-Seelen-Ort rollt dem Weltmeister den roten Teppich aus.
Das mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Hotelrestaurant bleibt in den kommenden Tagen geschlossen, dient stattdessen Löw und seinem Trainerteam als Arbeitsraum. Das hoteleigene Yoga-Zelt wird ferner zu einem Teambesprechungszimmer umfunktioniert. Play-Station, Billard- und Kickertische werden zudem in einem Kommunikationszentrum aufgebaut. "Wir wissen, dass wir einiges zu tun haben, um in Frankreich auf einem Toplevel zu spielen. Deshalb ist der Konkurrenzkampf in den kommenden Tagen wichtig", sagte Löw. Die AZ erklärt, worauf es für den Bundestrainer jetzt besonders ankommt.
Die Taktik
Kürzlich gestand Löw der "SZ", "schon immer ein wenig nach Spanien geschaut" zu haben – zum "Maß aller Dinge". Der Fußball "der Nationalelf, vom FC Barcelona, hat uns inspiriert". Nun sagt er: "Bayern ist in puncto Dominanz, Spielstärke, Raumaufteilung vorbildlich." Heißt: Löw wird, wie schon beim WM-Triumph 2014, wieder auf Pep Guardiolas Taktiktafel spicken. Und auch mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben. "Unsere Mannschaft ist eine Kombinationsmaschine", sagt er, "doch in manchen Situationen, gegen manche Gegner, fehlt uns dann die Tiefe." Dafür brauche er Spieler wie Leroy Sané oder Julian Brandt, die ins Eins-gegen-Eins gehen.
Die Hierarchien
Nach dem WM-Titel erklärten Kapitän Philipp Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker ihren Rücktritt. "Das waren Säulen, die weggebrochen sind", sagte Löw der "SZ", glaubt aber: "Die Hierarchie hat sich wieder gefestigt." Dabei setzt er auf "eine gute Achse" mit "Persönlichkeiten wie Neuer, Hummels, Boateng, Khedira, Kroos, Özil, Müller, hinzu kommt Schweinsteiger, wenn er fit ist". Toni Kroos wird erst nach dem Champions-League-Finale am Samstag mit Real Madrid gegen Atlético zur Nationalmannschaft reisen.
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Der Titelhunger
Zwar sei nach dem WM-Triumph 2014 in Brasilien kurzfristig "eine gewisse Sättigung" festzustellen gewesen, gab Löw zu, stellte aber auch klar: "Wir sind noch immer hungrig auf Titel. Diese Elf will Europameister werden." Dafür "wird es wichtig sein, dass wir wieder den Team-Spirit wecken können, dieses bedingungslose Füreinander-Dasein".
Die Härtefälle
Mario Götze gehört zu Löws größten Sorgenkindern. Und das nicht nur, weil der Finalheld von Rio im letzten Bundesligaspiel einen Rippenbruch erlitt. Löw hofft, dass der 23-Jährige am Mittwoch ins Teamtraining einsteigen kann und betonte, dass der 23-Jährige "eine zentrale Rolle" in seinen Planungen spielt. Dabei hat Götze eine Saison zum Vergessen als Ersatzspieler beim FC Bayern hinter sich. Götze sei aber "doch kein Pflegefall", sondern ein "außergewöhnlicher Spieler", sagte Löw. Sami Khedira verpasste am Samstag das italienische Pokalfinale wegen seiner seit längerer Zeit maladen Wade. Bei der WM 2014 schaffte er es aber selbst nach einem Kreuzbandriss, wieder rechtzeitig fit zu werden.
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Löws größtes Sorgenkind heißt aber zweifelsohne Bastian Schweinsteiger. Der 31-Jährige verpasste nach einer erneuten Knieverletzung bei Manchester United große Teile der Rückrunde. Laut Löw befindet er sich inzwischen im Lauftraining "unter voller Belastung". Im schlimmsten Fall muss sich der Nationalcoach einen neuen Kapitän für die EM suchen. Eine Hintertür vor der am 31. Mai anstehenden Nominierung des endgültigen EM-Kaders öffnete Löw aber bereits für Schweinsteiger. Er brauche in Frankreich "zwei Mannschaften", sagte er: Eine eher robuste, kampfstarke für die Phase bis zum Achtelfinale. Und eine, wenn es dann ab dem Viertelfinale um den Titel geht.
Die Streichkandidaten
Für vier Profis zerplatzt der EM-Traum am 31. Mai. "Es gibt keinen potenziellen Streichkandidaten. Ich habe keine Tendenz", sagt Löw. Bayerns Joshua Kimmich und Dortmunds Julian Weigl sowie Leverkusens Julian Brandt und Schalkes Leroy Sané werden wohl dennoch jeweils gegeneinander um einen Platz im Kader kämpfen. "Ich bin sehr aufgeregt, aber auch voller Vorfreude. Das werden geile Tage", sagte Brandt.
"Wenn ich nicht von seiner Klasse überzeugt wäre, hätte ich Lukas sicherlich nicht nominiert", sagt Löw zwar über seinen in die Jahre gekommenen Sommermärchen-Prinzen Podolski. Der 30-Jährige könne "jederzeit ein Spiel entscheiden". Aufgrund des Pokalfinales mit Galatasaray stößt er verspätet am Donnerstag dazu. Und dann wird auch er um seinen Platz im EM-Kader kämpfen müssen.