Prinz oder Prinzlein? Özils große Prüfung
München - Es war ein Dienstagabend im vergangenen Herbst, als Mesut Özil endlich den Beweis erbrachte, dass er es doch kann gegen einen großen Gegner. Der FC Bayern war nach London gekommen, Gruppenphase der Champions League – und in erster Linie wegen Özil verließ Pep Guardiolas Team die englische Hauptstadt mit einer 0:2-Niederlage gegen den FC Arsenal. Özil hatte in der Nachspielzeit das Tor zum Endstand geschossen, vor allem aber hatte er mit seiner Übersicht, seinen Pässen und seiner Ruhe dafür gesorgt, dass sich sein Team mehr und mehr aus der Umklammerung der Bayern befreite. „Das zerbrechliche, außerirdische Prinzlein Mesut Özil stellte das Spiel auf den Kopf“, schrieb der „Guardian“.
Zerbrechlich, außergewöhnlich: Treffender kann man den Fußballer Mesut Özil kaum beschreiben. An guten Tagen ist er zu Dingen imstande, die außer ihm nur eine Handvoll Spieler auf der Welt leisten können. Dann ist er kreativ, selbstbewusst, mitreißend. An schlechten Tagen zieht sich der sensible Spielmacher zurück, hadert mit sich. Seine Körpersprache ist dann nicht die eines Weltstars, sondern eines Mitläufers.
Joachim Löw weiß um diese beiden Seiten des Mesut Özil, er hat ihn deshalb vor der WM 2014, als der Regisseur gerade eine schwächere Phase durchmachte, auf den linken Flügel beordert. Raus aus dem Zentrum, raus aus dem Fokus der Öffentlichkeit, rein in die Rolle, die eigentlich für Marco Reus vorgesehen war. Der Dortmund-Star hatte sich vor dem Turnier verletzt, Özil ersetzte ihn – und Deutschland wurde Weltmeister. Mit einem Özil, der sehr ordentlich spielte.
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Zwei Jahre später sind die Vorzeichen vor dem nächsten großen Turnier ganz andere. Klar, Reus hat sich wieder verletzt und verpasst die EM. Doch Özil wird nach einer starken Saison nicht erneut als Vertreter des Dortmunders einspringen. Er sei „keine Alternative“ auf der Außenbahn, erklärte Bundestrainer Löw nun im „Kicker“. Für Özil ist diesmal eine wichtigere, zentralere Rolle vorgesehen. „Mesut ist auf der Zehn in diesem Jahr so stark, wie er vielleicht 2012 und 2013 war“, sagte Löw: „2014 war er nicht in der starken Verfassung wie zuvor und danach. Jetzt ist er für die Mannschaft am wertvollsten, wenn er in der Zentrale spielt.“
Die Botschaft an seinen Weltmeister ist damit klar formuliert: Özil, der vor der EM eine Pilgerreise nach Mekka unternahm (Foto), soll mehr Verantwortung fürs deutsche Spiel übernehmen, Löw drängt ihn regelrecht in diese Rolle. Zuletzt im Test gegen Ungarn testete er den Arsenal-Star sogar auf der Sechser-Position. Erfolgreich übrigens. Hauptsache zentral – Löw braucht sein Spielmacher-Genie dringend wie nie.
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Löw braucht einen starken Spielmacher auf dem Platz
„Jeder weiß, dass ich auf der Zehn mein Potenzial am besten ausschöpfen kann“, sagt Özil. „Das ist meine Lieblingsposition, und der Bundestrainer weiß das.“ Bei Arsenal zeigte Özil in der vergangenen Spielzeit – vor allem in der Hinrunde – herausragende Leistungen auf dieser Position. Acht Tore und 19 Vorlagen gelangen dem 27-Jährigen insgesamt. Den Assist-Rekord von Klub-Legende Thierry Henry verpasste er nur um einen Punkt. Dass die Arsenal-Fans Özil deshalb zum Spieler der Saison wählten, kam nicht überraschend. Einzig der Fakt, dass Arsenal mal wieder Konstanz in der entscheidenden Phase abging und Überraschungsmeister Leicester City den Titel holen durfte, trübte die Gesamtbilanz. Özil aber war ein Gewinner der Saison. „Er ist zu einem großen Spieler gereift, weil er seinem Spiel Hingabe, Führungsqualitäten und Verantwortung hinzugefügt hat. Ich bin höchstzufrieden mit seiner Entwicklung“, sagt Coach Arsène Wenger.
Was Özil noch fehlt, um zu den größten Spielern der Gegenwart zu zählen? Ein Turnier, bei dem er bleibenden Eindruck hinterlässt, bei dem er nicht nur sporadisch glänzt wie 2010, 2012 oder 2014 – sondern bei dem er seine Mannschaft zum Titel führt.
Wie etwa Bastian Schweinsteiger bei der WM 2014. Dass Löw nun Özil so offensichtlich in eine zentrale Rolle redet, hat nicht zuletzt mit der Abwesenheit des schwächelnden, noch längst nicht fitten Kapitäns zu tun. Er braucht neben Toni Kroos und Sami Khedira einen starken Spielmacher auf dem Platz.
Prinz oder Prinzlein? Özil muss in Frankreich die Antwort geben.