Platinis Schnapsidee
Der Uefa-Präsident macht während der EM keine gute Figur und witzelt, dass er in der Ukraine „viel Wodka getrunken” hat. Sein neuester Plan: Er will die Titelkämpfe 2020 „überall in Europa” austragen
KIEW Es ist ein Witz gewesen, gewiss. Über eine geschlagene Stunde hatte Michel Platini am Tag vor dem EM-Finale im Kiewer Olympiastadion schon parliert, als dem Uefa-Patron die Frage gestellt wurde, wie er denn zuletzt seine Zeit verbracht hätte. „Ich habe viel Wodka getrunken”, rief der Franzose aus und erntete Gelächter. Um ernsthaft zu beteuern, wie viele Meetings er abhalten müsse: „Ich habe viel Stress gehabt.” Offenbar scheint dem mittlerweile 57-Jährigen weder das eine noch das andere gut zu bekommen. Anders ist die fixe Idee kaum zu erklären, die das Uefa-Oberhaupt nunmehr präsentierte – eine Europameisterschaft in ganz Europa.
„Wir können für die EM 2020 in zwölf Städte überall in Europa gehen. Wir bräuchten keine Stadien oder Flughäfen zu bauen.” Platini sprach von seinem Einfall, dem bereits lebhafte Debatten bei der Sitzung des Uefa-Exekutivkomitees folgten. Nun geht der Vorschlag an die Nationalverbände, im Dezember oder Januar soll eine Entscheidung folgen. Er habe bei seinen Trips in Polen und der Ukraine selbst die Erfahrung gemacht, „dass es einfacher ist, von London nach Paris und Berlin zu kommen als von Danzig nach Donezk”. Und die Fans könnten eine Billig-Airline buchen.
Dass ein Territorium zwischen Benelux und Baltikum zu groß ist, will er nicht gelten lassen. Nebenbei hat der Uefa-Chef nonchalant die vorliegenden Bewerbungen der Türkei sowie der Zusammenschlüsse aus Wales/Schottland/Irland und Georgien/Aserbaidschan für 2020 geschwächt. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach ließ erstaunlicherweise mitteilen, der DFB sei offen für solche Planspiele.
Dabei gibt es genügend Kritiker, die den einst kongenialen Spielmacher bereits der geistigen Umnachtung bezichtigten, dass die EM 2016 in seiner Heimat mit 24 Mannschaften stattfindet. Platini verteidigte die Aufstockung erneut mit der Aussicht, „dass Norwegen, Belgien oder Schottland auch gut für eine EM sind”. Der oberste Dienstherr konnte schlecht den wahren Grund nennen. Mit Aufblähungen der Uefa-Wettbewerbe sichert sich „Platoche”, wie Landsleute den Genießer nennen, den Rückhalt unter den 53 Mitgliedsverbänden. Dass künftig Abstellungsgebühren von 100 Millionen Euro an 580 Klubs ausgeschüttet werden, ist auch so ein Zugeständnis. Davon gehen nun 40 Millionen Euro an die Teilnehmer der Qualifikationsphase, also werden auch Armenien oder Andorra belohnt, Nationalspieler hervorzubringen.
In anderen Fragen hingegen bleibt Platini stur: „Ich bin absolut gegen die Torlinientechnik. Was ist, wenn es ein Handspiel auf der Linie gibt, dann sieht das keine Technik der Welt.” Der Konflikt mit Sepp Blatter spielt sich dabei längst in aller Öffentlichkeit ab. „Blatter weiß, was ich darüber denke.” Mögen Fifa- und Uefa-Boss beim Halbfinale in Warschau nebeneinander gesessen haben, so scheint mancher Graben unüberbrückbar. Die Fifa will am 5. Juli über die Einführung elektronischer Hilfsmittel entscheiden. Platini sagte: „Ich bin gegen jede Technik an sich.”
Platini hat auch noch behauptet, die Stadien seien zu 98 Prozent ausgelastet gewesen. Auch das war kräftig geschwindelt, weil etliche Inhaber der Sponsoren- und Funktionärspakete nicht in den Stadien erschienen, manche Nationalverbände ihre Kontingente wegen der schlechten Reise- und Unterbringungsmöglichkeiten in der Ukraine nicht ausschöpften.
Am fragwürdigsten eines selbstgefälligen Auftritts wirkte jedoch, dass der angeblich unpolitische Platini am Final-Wochenende gekonnt Doppelpass mit der überaus fragwürdigen ukrainischen Regierung spielte. Seinen Kompagnon aus der Uefa-Exekutive und Vater der EM-Bewerbung, den ukrainischen Fußballpräsident Grigorij Surkis, lobte der Präsident jedenfalls überschwänglich. Surkis sprach sogleich dem umstrittenen ukrainischen Ministerpräsidenten Viktor Janukowitsch großen Dank aus, der wiederum zum Finale den europaweit geächteten weißrussischen Diktator Alexander Lukaschenko lud. Ein Schurkenstück auf der Ehrentribüne – und mittendrin die beschwipste Uefa-Obrigkeit.