Oliver Kahn: Das rät er Michael Ballack

Dass Jogi Löw quasi zwei Kapitäne benennen will, hält der frühere DFB-Spielführer Oliver Kahn für gewagt. Im AZ-Interview kritisiert er Philipp Lahm– und fragt sich, ob Ballack die Unterstützung fehlt
AZ: Herr Kahn, Bundestrainer Joachim Löw hat angekündigt, die Hierarchie in der Nationalelf verändern zu wollen, und „viele Kapitäne“ in der Mannschaft haben zu wollen. Sie waren über sechs Jahre Bayern-Kapitän, bis 2004 auch beim DFB – macht das Sinn, was Löw will?
OLIVER KAHN: Natürlich sollte man die Verantwortung in einer Mannschaft verteilen, es muss aber einen klaren und eindeutigen Kapitän geben. Ein Trainer muss im Idealfall sagen: Ich stehe zu 100 Prozent zu meinem Kapitän, und der ist mein erster Ansprechpartner.
Löw aber wird am Mittwoch eine Teillösung präsentieren. Michael Ballack bleibt der Kapitän, aber nur, wenn er fit ist und berufen wird. Ansonsten ist WM-Kapitän Philipp Lahm der Boss.
Das hört sich ein wenig nach Kapitän 1a und Kapitän 1b an… Ballack muss für sich entscheiden, ob er sich in so eine Situation begeben möchte. Ich bin kein Freund solcher Teillösungen. Das führt meistens zu weiterer Unruhe und ständigen Diskussionen.
Wer wäre für Sie der ideale Kapitän auf dem Weg zur EM 2012? Ballack oder Lahm?
Ich glaube, dass Ballack der Mannschaft mit seinem Potenzial immer noch helfen kann. Er muss dann aber auch für positive Stimmung sorgen, er muss dieses Leadership verkörpern, jungen Spielern helfen und antreiben. Andererseits braucht er dafür die totale Unterstützung sowie den Rückhalt des Trainerstabes und der Mannschaft. Irgendwelche Ressentiments oder Zwistigkeiten dürfen dann nicht mehr im Raum stehen.
War Lahms Vorstoß während der WM eine Spur zu keck?
Ich verstehe ihn, er hat das aus der Emotion heraus gesagt. Es lief ja, der Erfolg war da, man hatte überzeugend das Halbfinale erreicht. Da sagt man solche Sachen, aber der Zeitpunkt war ungünstig, kurz vor dem Spiel gegen Spanien. Er hat sich damit unnötig Druck auferlegt, so etwas trägst du noch im Hinterkopf auf dem Platz mit dir herum. Abgesehen davon: Ich traue ihm das Amt zu, keine Frage.
Was passiert, wenn sich doch herausstellt, dass Lahm auf Dauer – vor allem mit Blick auf die WM 2014 in Brasilien – Löws Mann ist?
Wenn Michael nicht die völlige Unterstützung spürt, dann sollte er sich das sehr gut überlegen, ob er das so in dieser Form noch braucht, ob er sich diesen Stress noch antut. Solche Situationen kosten viel Kraft und Energie, die ihm dann eventuell im Verein bei Bayer Leverkusen fehlen.
Sie wurden im August 2004 vor Klinsmanns erstem Länderspiel als Bundestrainer überraschend als DFB-Kapitän abgesetzt.
Ich habe nie so viel Wert auf die Kapitänsbinde gelegt, mich nie groß darum bemüht – ob das bei Bayern oder in der Nationalelf war. Meist hat der jeweilige Trainer mich bestimmt.
Damals haben Sie im Anschluss jedoch nicht komplett hingeschmissen.
Bei mir stand damals die WM 2006 an, ein Turnier im eigenen Land, das war eine ganz andere Geschichte, eine ganz andere Motivation. Es hätte noch viel passieren können, das war ein langer Zeitraum. Aber jetzt geht es um eine EM in Polen und der Ukraine, das kann man nicht mit 2006 vergleichen.
Interview: Patrick Strasser