Natze, Tigerin im Käfig
SOLNA - Michael Fuchs kam mit einem Grinsen aus der Kabine. Er schwenkte keine Sektflasche, schwang auch keine Rede. Aber dem Torwarttrainer der deutschen Fußballerinnen war die Genugtuung anzusehen, die ihn beim Abgang aus dem schwedischen Nationalstadion umgab.
Der 43-Jährige ist der gute Geist dieser beschwingten Rasselbande. Sein Wort hat Gewicht, vor allem, wenn jemand aus diesem Aufgebot Geburtstag hat. Aber mit niemand ist der Hüne so vertraut wie mit Nadine Angerer.
Deshalb Freude auch er sich mit der Matchwinnerin: „Die ‚Natze‘ ist eine Torhüterin aus Leidenschaft.“ Und dann erzählte er noch, wie sie morgens beim Videoanalysten gesessen hatten, um noch einmal zu schauen, wie das beim Elfmeterschießen der Norwegerinnen gewesen war: „Dann haben wir gemerkt, dass die Solveig Gulbrandsen immer lange wartet.“ Ergo hat auch die deutsche Torhüterin lange gewartet - prompt war die Parade perfekt und die EM gekrönt. Sie spielte mutig im Herauslaufen, energisch im Strafraum, sicher auf der Linie. Diese Fehlerlosigkeit von Anfang bis Ende eines Turniers ist Oliver Kahn beispielsweise bei der WM 2002 nicht bis zum Ende geglückt.
Angerer hat zu viel erreicht (zwei WM-Titel, fünf EM-Siege), um Vorbilder aus dem Männerbereich zu nennen. Sie ist wieder die Beste der Welt im weiblichen Segment. Sie weiß, dass sie zeitweise beim 1. FFC Frankfurt in eine Formkrise geschliddert war, „meine erste längere Verletzung“. Fuchs hat beobachtet, dass sie „das wahnsinnig gemacht hat“. Die 34-Jährige habe sich „wie ein Tiger im Käfig bewegt“. Und doch ließ sie sich in dieser Zeit ein bisschen hängen, ernährte sich nicht gerade gesund.
Die Erkenntnis reifte, dass etwas getan werden muss, für Kopf und Körper. CrossFit nennt sich die Methode amerikanischen Ursprungs. Dabei werden Gewichtheben, Sprinten und Gymnastik verbunden. Als Angerer gestern sagte, die Mannschaft habe zum richtigen Zeitpunkt den Hebel umgelegt, lässt sich das auch auf sie selbst beziehen. Sie nur als Freak zu bezeichnen, kommt dem Freigeist mit dem Faible für Mützen aller Art zwar ziemlich nahe, doch die Halb-Italiener gilt auch als extrem ehrgeizig.
Im Vorfeld der WM 2011 in Deutschland hatte sie kein Problem, sich mit ihrer Bisexualität zu outen. Bei der unangepassten Kapitänin wurde das wie selbstverständlich aufgenommen. Die Erfolgreichste und Erfahrenste eines verjüngten Ensembles („Manchmal fühle ich mich wie im Kindergarten“) konnte nach dem verlorenen Gruppenspiel gegen Norwegen auch fordern: „Wir müssen endlich den Arsch hochkriegen.“ So etwas wirkt. Auch im sensiblen Gebilde eines Frauenteams.
Ihr Verhältnis zu Silvia Neid ist über die vielen Jahre (Angerer machte gestern ihr 124. Länderspiel) von Vertraulichkeit geprägt. Nur einem steht sie noch näher: Michael Fuchs. „Er ist ganz wichtig für mich.“ Wenn sie sich nach dem Urlaub wieder in Form bringen muss für das erste WM-Qualifikationsspiel am 21. September in Cottbus, wird sie das in Nürnberg tun. Dort wo Fuchs lebt und früher beim „Club“ einen Torhüter namens Andreas Köpke trainierte. Doch dem Lehrer ist Familie und Beruf jetzt wichtiger, weshalb er sich bald aus dem Trainerstab verabschiedet. Nadine Angerer hat ihm dazu gestern das schönste Geschenk gemacht.
- Themen:
- Europameister
- Oliver Kahn