Nachruf auf Fußball-Ikone Pelé: Der den Mond verdeckte
Wer könnte berufener sein unter den deutschen Fußballgrößen, den großen Pelé zu würdigen, als Franz Beckenbauer und Willi Schulz? Beide, "Kaiser" und "Worldcup-Willi", haben gegen - und mit - dem berühmtesten und genialsten Spieler der Fußball-Geschichte gespielt. Deswegen sei zu Pelés Tod an zwei Ereignisse jenseits der Gala-Auftritte des "übernatürlichen Wesens" erinnert, wie ihn einst brasilianische Reporter verherrlichten.
Pelé weinte bitterlich. Der Himmel über New Jersey öffnete seine Tränen-Schleusen. Auch die Stars, unter ihnen Franz Beckenbauer, hatten feuchte Augen, als sie den Vergötterten auf die Schultern hievten und vor 75.646 Zuschauern durchs Giant-Stadium trugen. In der Kabine brauchte Pelé ärztlichen Trost, so sehr war ihm der Abschied aufs Gemüt geschlagen. "Ich bin heute ein bisschen gestorben", schluchzte er mit seiner tiefen Stimme.

Da war er 36 Jahre alt. Pelé spielte je eine Halbzeit für die beiden Vereine seiner einzigartigen Karriere, seinen Heimatklub FC Santos (1956-1974) und den Krösusklub Cosmos (1975-1977): Er schoss zum Abschied sein 1281. Tor und vermachte sein Trikot mit der 10 jenem Mann, Waldemar de Brito mit Namen, der ihn als Elfjährigen in dem ärmlichen Ort Três Corações entdeckt hatte.
Beckenbauer: "Er ist der wunderbarste Sportler, den ich je kennengelernt habe"
Doch es sollte noch nicht das allerletzte Hurra gewesen sein. Als der "Kaiser" drei Jahre später, am 24. September 1980, Cosmos, New York und Amerika "bye, bye" sagte, zog Pelé ihm zu Ehren als "Spezial Guest Player" für "Franz Beckenbauer's Farewell Game" noch einmal das Trikot mit der 10 an. Pelé schoss sein 1282. Tor und gab endgültig sein letztes Hemd her. Unter dröhnendem Applaus des Publikums hängte Pelé bei seinem Abgang nach 42 Minuten das Trikot mit der 10 dem Franz um den Hals. "Er ist der wunderbarste Sportler, den ich je kennengelernt habe" sagte Beckenbauer. Die Wertschätzung beruhte auf Gegenseitigkeit. Pelé sagte über Beckenbauer: "Franz ist der genialste Spieler der Welt."
Für mich als Augenzeuge waren es ergreifend sentimentale Tage im Herbst 1980 in den USA: der Abschied von den beiden größten Sportlern aller Zeiten innerhalb einer Woche. Acht Tage nach Pelés letztem Spiel bei Beckenbauers "Servus New York" saß ich am Ring bei Muhammad Alis "Last Hurrah" in Las Vegas gegen Larry Holmes. Dem aber noch das "Drama in Bahama" 14 Monate später folgen sollte. Eine Saison lang hatten Pelé und Beckenbauer bei Cosmos gespielt. Gegeneinander in einem offiziellen Spiel aber nur ein Mal: beim 2:2 im Länderspiel am 14. Dezember 1968 in Rio de Janeiro. Pelé schoss kein Tor.
Die Seleçao ging 1963 auf Europa-Tournee. Erstes Länderspiel gegen Deutschland. Brasiliens 2:1 in Hamburg war Pelés Sieg. Mit einem extrem harten Schuss aus 25 Metern erzielte er das Siegtor. Sein direkter Gegenspieler war der knorrige Willi Schulz. "Wenn du gegen so einen Mann spielst, flattert dir vorm Spiel die Hose", sagte sich Schulz. "Nach dem 1:0 dachten wir, wir hätten die großen Brasilianer im Sack. Ein Irrtum. Wegen Pelé. Der kam außerhalb des Sechzehners zum Schuss. Ich dachte: 'Lass ihn mal schießen. Da passiert nichts.' Der Ball schlug im Winkel ein, und wir haben verloren. Wenn du nur einen Meter neben dran stehst, wie ich beim Tor, hat es geklingelt. Total ausschalten kann man so ein Genie nie."
"Es ist viel einfacher, eine Karriere zu starten, als sie zu beenden", klagte Pelé bei seinem New Yorker "Farewell". Womit die Rückblende ins Jahr 1958 und die WM in Schweden angeknipst ist. Gerade mal 17 Jahre alt, verzückte er die Welt. Pelé schoss das 1:0 im Viertelfinale gegen Wales, vollbrachte beim 5:2 gegen Frankreich im Halbfinale einen Hattrick und erzielte im Endspiel zwei Tore zum 5:2 gegen Schweden. Sechs Tore, eines schöner, kunstvoller, trickreicher als das andere.
1970 wird Pelé zum dritten Mal Weltmeister
Als Kapitän Bellini aus der Hand des schwedischen Königs den Pokal entgegennahm, Brasilien mit Traumfußball und einem Wunderknaben im sechsten Anlauf erstmals Weltmeister geworden war, weinte Pelé hemmungslos vor Glück. Bei der Titelverteidigung 1962 in Chile wurde Pelé in der Vorrunde durch einen Muskelriss außer Gefecht gesetzt. Beim Finale 1970 in Mexiko schoss er ein Tor zum 4:1-Sieg gegen Italien und wurde zum dritten Mal Weltmeister.
Zwischen seinem Profidebüt mit 15 Jahren beim FC Santos und dem Karriere-Ende mit 36 in New York liegt ein historisches Datum: Der 19. November 1969, an dem Pelé sein 1000. Tor erzielte. Als sich der spätere "Sportler des 20. Jahrhunderts" der Marke bis auf einen Treffer genähert hatte, wurde alles arrangiert, dass dieses Ereignis als Show im Maracanã von Rio stattfand. 100 000 Zuschauer wollten Zeuge des historischen Tores beim Spiel FC Santos gegen Vasco da Gama sein. Die 78. Minute: Pelé wurde im Strafraum zu Fall gebracht - Elfmeter!
"Pelé, Pelé, Pelé" brüllten Hunderttausend. Pelé trabte heran. Es wurde mucksmäuschenstill. Pelé lief an, schoss. Torwart Andrade flog in die falsche Ecke - Tor. In dieser Minute läuteten Tausende Glocken in Brasilien. Ein Schrei aus Millionen Kehlen: "Goooooooal!" Schriftsteller Hans Blickensdorfer brachte in seinem Jahresrückblick 1969, dem Jahr der Landung von Apollo 12 auf dem Erdtrabanten, das Pelé-Märchen auf den Punkt: "Der 19. November war der Tag, an dem der Fußball für 90 Millionen Brasilianer den Mond verdeckte."
Auf Pelé wartete 2016 der ergreifendste Auftritt ohne Ball: Die Entzündung des Olympischen Feuers in Rio de Janeiro. Der 75-Jährige musste aber nach zwei OPs an Hüfte und Wirbelsäule absagen. Anders als der von der Parkinson-Krankheit schwer gezeichnete Ali, der 1996 in Atlanta die Flamme entzündete hatte, wollte Pelé sich nicht auf Krücken der Welt präsentieren.
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