Nach WM-Aus: Oliver Kahn nimmt Fußball von Joachim Löw auseinander

München/Baden-Baden/Kasan - Für Titelverteidiger Deutschland ist die WM 2018 bereits nach der Vorrunde vorbei. Nach der Auftaktniederlage gegen Mexiko und dem Last-Minute-Sieg gegen Schweden verlor die deutsche Nationalmannschaft jetzt auch 0:2 gegen den krassen Außenseiter Südkorea - und ist damit als Gruppenletzter ausgeschieden.
Nach der Pleite analysierte Oliver Kahn im "ZDF"-Studio in Baden-Baden das Aus schonungslos– und nahm Joachim Löws Fußball auseinander.
WM-Sieg von vor vier Jahren kein Vorteil
Der Ex-Bayern-Torhüter erkannte zahlreiche Probleme, die zum Scheitern der DFB-Elf zu solch einem frühen Zeitpunkt bei der Weltmeisterschaft führten. So war laut Kahn die Rolle als Titelverteidiger eher eine Bürde: "Es gibt da die Weltmeister, die das große Lebensziel erreicht haben, die dann einfach nicht mehr diese Leistungsbereitschaft haben. Das ist für die anderen Spieler nicht einfach", sagte der einstige Keeper. Ergo: Die Gier fehlte bei den Weltmeistern.
Allgemein habe es viele Unstimmigkeiten im Team gegeben, meinte er weiter. Manuel Neuer zum Beispiel habe trotz langer Verletzungspause das Vertrauen des Bundestrainers erhalten und sei als Stammkeeper gesetzt gewesen – vor Marc-André ter Stegen und Kevin Trapp. Kahn sagte: "Bei Manuel Neuer ist die Frage, wie sowas in der Mannschaft ankommt. Er war lange verletzt, hat nicht gespielt. Stichwort Leistungsprinzip."
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Oliver Kahn: "Nationaltrikot wiegt mehrere Tonne"
Doch Neuer ist nicht der einzige DFB-Star, bei dem Kahn mit seiner Kritik ansetzt: "Mats Hummels hat sich dem Interview gestellt, ist aber trotzdem nicht fehlerfrei gewesen. Toni Kroos spielt bei Real Madrid mit weltklasse Spielern. Auch von Timo Werner kann man nicht erwarten, dass er Leader-Qualitäten hat."

Neben fehlender Leader-Qualität vermisste der 49-Jährige auch etwas anderes im deutschen Spiel. Er erklärte: "Man hat nicht das Gefühl gehabt, dass in dieser Mannschaft eine Achse vorhanden war. Die ist notwendig, hat sich aber überhaupt nicht entwickelt." Im Fernsehen habe man den Eindruck gehabt, dass das Nationaltrikot für jeden Spieler mehrere Tonnen wiege, ja, wie eine Last auf jedem Spieler liege. "Da, wo wir das Tor gebraucht hätten, wurde noch ein Pass rübergespielt und noch ein Pass rübergespielt", sagte Kahn.
Kahn kann Löw nicht nachvollziehen
Statt Tore zu schießen, spielten die Deutschen ohne Plan, dafür mit Hemmungen und Angst, erklärte er. Das kann der Ex-Bayer nicht nachvollziehen. Er sagte: "Es bleibt ein Rätsel, wie man in einer phasenweise Apathie dieses Spiel hingenommen hat. Auch in ihren Vereinen haben sie Druck."
Nach dem Vorrunden-Aus wird in den nächsten Tagen wohl vor allem eines diskutiert werden: Joachim Löws Zukunft als Bundestrainer. Erst kurze Zeit vor der WM 2018 hatte er seinen Vertrag bis 2022 verlängert. Ob er ihn erfüllen wird, ließ er in einem ersten Interview mit dem "ZDF" nach dem Spiel offen.
Kahn hingegen hat dazu eine ganz klare Meinung: "Bei mir hätte sich schon 2014 die Frage gestellt. Was will ein Bundestrainer noch mehr erreichen. Ich hätte 2014 schon gesagt: 'Das ist genug, mehr kann ich nicht mehr erreichen'."
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