Mit Kult-Keeper Lutz Pfannenstiel: Die WM-Viertelfinalisten im AZ-Check

München/Moskau - Alle Welt- und Europameister seit 2004 sind ausgeschieden, auch alle sechs Kontinentalmeister mussten bereits die Heimreise antreten oder hatten sich gar nicht erst für das Turnier qualifiziert. Die 21. Fußball-Weltmeisterschaft in Russland ist ein Turnier der Favoritenstürze.
Dennoch, "am Ende des Tages sind die richtigen Teams verdient im Viertelfinale", meint ZDF-Experte und Kulttorhüter Lutz Pfannenstiel, der als einziger Profi weltweit auf allen sechs Kontinenten in einem Profiverein gespielt hat.
Vor dem Viertelfinale, das am Freitag und Samstag ausgespielt wird, checkt die AZ zusammen mit Pfannenstiel die acht verbliebenen WM-Teilnehmer, die um den goldenen Pokal spielen...
Frankreich
Die Équipe tricolore überzeugte im Achtelfinale gegen Argentinien (4:3) mit überfallartigen Kontern und variablem Angriffsspiel, Jungstar Kylian Mbappé erzielte zwei Tore und holte den Elfmeter vor dem 1:0 heraus. "Sollte Mbappé gegen Uruguay nochmal so auftrumpfen, ist er für mich der Star des Turniers. Seine Fähigkeiten sind einzigartig", sagt Pfannenstiel. Auch mental präsentierte sich die junge Mannschaft stark, steckte den plötzlichen 1:2-Rückstand weg. Trainer Didier Deschamps warnte aber in der "Sport Bild": "Die Hälfte meiner Spieler hat noch keine WM gespielt, diese Erfahrung fehlt uns. Darin sehe ich ein Problem."
Dennoch: "Frankreich ist ein heißer Anwärter auf den Pokal", sagt Pfannenstiel.
Uruguay
Die bangen Blicke aller 3,3 Millionen Uruguayer richten sich auf die Wade der Nation: Kann Stürmerstar Edinson Cavani nach seinem Bluterguss im Viertelfinale gegen Frankreich auflaufen? Cavani (drei WM-Tore) ist mit Sturmkollege Luis Suárez (zwei) der Erfolgsgarant der Himmelblauen. Weiteres Plus: Die Abwehr hat bei dieser WM erst ein Gegentor zugelassen. "Wenn es darum ginge, wer am unbequemsten spielt, dann wäre Uruguay Weltmeister", sagt Pfannenstiel.
Dennoch: Ohne – oder mit einem geschwächten – Cavani dürfte für Uruguay im Viertelfinale Schluss sein.
Brasilien
Der Rekordweltmeister (fünf Titel) macht bisher den gefestigtsten Eindruck aller WM-Teilnehmer: "Sie kommen immer besser ins Turnier und spielen auch defensiv strukturierten Fußball. Vorne sind sie mit Coutinho und Neymar brutal gut besetzt", sagt Pfannenstiel: "Der Ausfall von Casemiro im Viertelfinale ist aber ein herber Verlust." Das Team muss nun beweisen, dass es auch ohne den gesperrten Real-Star körperlich dagegenhalten kann.
Gelingt das, hat Brasilien die besten Chancen auf den Titel.
Belgien
Sind die Roten Teufel diesmal auch teuflisch effektiv? Das Nervenkostüm war bisher nicht gerade die Stärke der Belgier, die zuletzt zweimal bei großen Turnieren im Viertelfinale scheiterten. Doch die Goldene Generation um Vincent Kompany, Kevin de Bruyne, Eden Hazard und Romelu Lukaku scheint gereift. Im Achtelfinale drehte man einen 0:2-Rückstand gegen Japan in einen 3:2-Sieg. "Belgiens Stärke ist das wahnsinnig schnelle Umschaltspiel. In der Mitte spielt de Bruyne seine Kreativität aus und vorne lauern die pfeilschnellen Stürmer Hazard und Lukaku. "Belgien ist eine perfekte Kontermaschine", analysiert Pfannenstiel.
Gelingt am Freitag gegen Brasilien die Überraschung, greift die Elf nach dem Titel.
Russland
Dass der Gastgeber im Viertelfinale steht, ist nicht nur eine Riesen-Überraschung, sondern auch eine Leistung des Willens. Diese wird es erneut brauchen, wollen die Russen noch mehr erreichen. Denn im Kader gibt es nicht einen echten Star. "Die Russen haben eine knallharte Mauertaktik", sagt Pfannenstiel über das Team des grimmigen Coaches Stanislaw Tschertschessow. "So wie ihr Trainer schaut, spielen sie auch Fußball." Die Gastgeber werden es vor allem darauf anlegen, "so lange wie möglich die Null zu halten", meint Pfannenstiel.
Sollte Kroatien früh in Führung gehen, "wird es aber sehr schwer für die Russen".
Kroatien
"Für mich haben die Kroaten mit den am besten ausbalancierten Kader im ganzen Turnier", sagt Pfannenstiel über das Team von Trainer Zlatko Dalic. Besonders das Mittelfeld mit Luka Modric und Ivan Rakitic sei "mit das Beste, was es gibt". Obwohl auch Kroatien aus einer starken Defensive heraus agiert, sieht Pfannenstiel auch im Sturm um Ex-Bayer Mario Mandzukic Vorteile bei den Kroaten. "Sie sind vorne sehr ausgewogen besetzt mit erfahrenen Leuten, die Stürmer sind schnell, kampf- und kopfballstark."
Doch im Achtelfinale haben die Dänen bewiesen, dass man dem Geheimfavoriten Kroatien wehtun kann.
Schweden
Trainer Janne Anderson ist es gelungen, aus einem weitestgehend namenlosen Team ein starkes Kollektiv zu formen. "Ich kenne ihn sehr gut", sagt Pfannenstiel über den schwedischen Coach. "So wie er sich gibt, lässt er spielen. Bieder, klar und sauber."
Da stört es auch keinen Schweden, dass Superstar Zlatan Ibrahimovic mittlerweile zurückgetreten ist. "Gut für die Schweden, dass er nicht dabei ist", meint Pfannenstiel: "Er würde dieser eingeschworenen Einheit nur schaden." Das Erfolgsgeheimnis liegt ohnehin in der starken Abwehr-„Mauer“ vor Keeper Robin Olsen.
Für mehr als das Viertelfinale dürfte es für Schweden dennoch nicht reichen.
England
Das junge Team von Trainer Gareth Southgate überraschte die Fußballwelt zuletzt mit dem ersten englischen Sieg in einem Elfmeterschießen bei einer WM. Die Nerven halten also. Auch spielerisch wussten die Three Lions schon zu überzeugen. "Das ist eine tolle Generation von Spielern, die guten Fußball spielen kann", meint Pfannenstiel: "Sie sind locker durch die Gruppe marschiert und waren gegen Kolumbien die bessere Mannschaft."
Stärke und Schwäche zugleich sind die Standards. Vorne fielen schon fünf Tore nach ruhenden Bällen. Andererseits seien die Engländer auch bei Standards gegen sich anfällig, meint Pfannenstiel: "Das ist eine Schwachstelle."
Trotzdem: Das Finale ist für England machbar.
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